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ARGEkultur • 17.08.2016 • Markus Grüner-Musil, ARGEkultur

Wann stehen wir still?

Editorial der Künstlerischen Leitung zum Herbst 2016

Wir eröffnen unsere Herbstsaison mit einer Neuproduktion des stART Festivals für aktuelle Musik mit dem Titel „Kerberos Score“. Dieser biennal stattfindende Produktionsschwerpunkt ist eine großartige – weil freie – Form, um Experimente der zeitgenössischen Musik im Kontext von neuen Themen und Formen zu ermöglichen.

Im stART Festival 2016 geht es um den letzten Teil des Lebens, das Sterben. Der Tod beschäftigt den Menschen sein Leben lang; die Menschheitsgeschichte zeugt von Mythen und Religionen und von der Sehnsucht an etwas zu glauben, was nach dem Tod sein soll. Die Definitionshoheit über den Tod prägt das Leben, sie legitimiert Macht und Hierarchien. Keine Angst wurde so wirkungsvoll kultiviert, wie die Angst vor dem Tod. Das Gedenken an die Toten ist Ritual, um die Wurzeln des eigenen Seins zu begreifen.

Das Sterben als Vorgang ist allerdings weit weniger sichtbar. Oftmals findet dieser Übergang vom Leben zum Tod in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen statt. Mit medizinischen Mitteln wird eine diffuse Vorstellung von einem schmerzfreien Sterben an ein medizinisches System delegiert, das getragen ist vom Wunsch der Angehörigen, das Leben möglichst zu verlängern, das aber am Tod wesentlich weniger Profit erzielt, als an dieser künstlichen Verlängerung.

Über die Natur des Sterbens und seine natürlichen Zyklen gibt es kaum ein breites Bewusstsein, Sterben ist kein Status, der auf Facebook bekanntgeben oder als Selfie gepostet wird. Naturwissenschaftlich ist das Sterben nur ein Annäherungswert, wie das Leben. Ab wann ist der Zellklumpen nicht bloß ein Fötus, sondern ein eigenständiges Wesen; ab wann ist der Mensch im Zuge der einsetzenden Dysfunktion von Organen nicht mehr lebensfähig? Was geschieht mit unserem Bewusstsein, wenn „lebenswichtige“ Funktionen bereits eingestellt wurden und die Versorgung zur Unterversorgung wird? Es sind ethische Vorstellungen in Kombination mit wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnissen, die diese Annäherungen definieren. Das Sterben beschreibt den letzten Abschnitt der Existenz eines Individuums, welches sein ganzes Leben lang versucht, das Sterben zu verhindern. „Die größte Anstrengung des Lebens ist, sich nicht an den Tod zu gewöhnen“, schrieb Elias Canetti.

Das Sterben ist ein Prozess, in dem die unterschiedlichen Energien des Lebens zum Stillstand kommen. Der Stillstand ist der Endpunkt des Sterbens, der in unterschiedlicher Geschwindigkeit und mit unterschiedlicher Intensität erreicht wird.

Die stART Produktion 2016 beschäftigt sich mit dem akustischen Weg hin zum Stillstand. Die Komponisten Werner Raditschnig und Alexander Bauer haben den Versuch unternommen, das Ausklingen und das Ausschwingen des Lebens in eine musikalische Sprache zu übersetzen.

Diese Prozesse hin zur Stille sind nicht gleichförmig, sondern können unterschiedliche akustische Positionen einnehmen. Die langsam ausklingenden und ausschwingenden rhythmischen Strukturen eines Organismus werden musikalisch neu interpretiert.

Diese Koproduktion von stART, oenm und ARGEkultur ist mit Sicherheit eine ungewöhnliche Annäherung an ein Thema, das uns alle betrifft, viele beschäftigt, aber kaum diskutiert wird.

Es erwartet Sie ein inszeniertes Konzert, ausschließlich mit Saiten, die nicht mehr schwingen, und Tönen, die nicht mehr klingen.

Markus Grüner-Musil,
Künstlerischer Geschäftsführer

 

© Markus Grüner-Musil, ARGEkultur