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ARGEkultur • 17.05.2017 • Markus Grüner-Musil, ARGEkultur

Gegen eine Leitkultur

Editorial der Künstlerischen Leitung

Die Freiheit der Kunst ist nicht nur ein Satz im Gesetz. Die Kunst muss sich diese Freiheit immer wieder neu erkämpfen und sich gegen alle Versuche der Vereinnahmung erwehren. Ganz aktuell erleben wir eine kontinuierliche Vereinnahmung durch neue rechte politische Strömungen; im Zentrum steht der Begriff der „Identität“, der sich vor allem über eine kulturelle Identität definiert. Eine „Leitkultur“ wird politisch gefordert – ein Kulturkatalog, der die Identität der Gesellschaft beschreiben soll, der als Mittel der Trennung gebraucht wird, um zu entscheiden, wer dazugehören darf und wer nicht.

KünstlerInnen und kulturelle Institutionen spielen in diesem Prozess logischerweise eine zentrale Rolle. Denn wenn es darum geht, ein hermetisches Bild einer Nation oder eines Volkes zu legitimieren, kann man an der Kultur nicht vorbei.

So bezeichnet die deutsche AfD in ihrem Parteiprogramm Kulturinstitutionen ausdrücklich als Instrumente, um den Begriff der nationalen Identität zu verbreiten. In den europäischen Ländern, in denen nationale rechte Parteien bereits die Regierung stellen, werden Leitungspositionen von Schulen, Universitäten und Theatern mit Personen besetzt, die streng nach Regierungslinie agieren. Und aktuelle popkulturelle Formen und Entwicklungen werden mit spielerischer Leichtigkeit und mit Hilfe sozialer Medien in den neuen rechten Kulturkanon integriert.

Neben dieser strukturellen Vereinnahmung der Kultur durch die Neue Rechte gibt es auch individuelle Bekenntnisse, die im ersten Moment beinahe skurril erscheinen. Die Blogger der rechtsradikalen US-Seite „The Daily Stormer“ haben eine Vorliebe für Jane Austen geäußert, was der naiven Sehnsucht nach einer Welt geschuldet sein mag, in der jede/jeder seinen angestammten Platz in der Gesellschaft wiederfindet. Die VertreterInnen der schon fast orthodoxen Rechts-Außen-Gruppe „Alt Right“ gelten nicht nur als Einflüsterer des amerikanischen Präsidenten, sondern haben sich auch öffentlich als Fans der Synth-Wave-Größe Depeche Mode geäußert (obwohl diese als eher links gilt). Und der europaweite Sprecher der „Identitären Bewegung“, der Österreicher Martin Sellner, stellte ein Video von sich online, in dem er im Wald stehend einen Text von Hugo von Hofmannsthal rezitierte, jenem Hofmannsthal, dem wir bald zur 100-jährigen Gründung der Salzburger Festspiele gratulieren dürfen. Natürlich: Die Freiheit der Kunst ermöglicht auch, dass sich jede/jeder für jede Form von Kunst begeistert und damit identifizieren darf. Kunst hat ihre Bedeutung oftmals erst durch eine öffentliche Auseinandersetzung, durch Ablehnung oder eben Identifikation gewonnen. Bemerkenswert in diesem Fall ist aber, wie sehr sich Kunst ganz einfach politisch instrumentalisieren lässt, wie sehr Kunst und Kultur Teil einer Strategie werden, um rechtsradikales Gedankengut aus einer Peripherie ins Zentrum des gesellschaftlichen Mainstream zu befördern.

Erfolgreich wird diese Strategie auch dann sein, wenn die Kulturinstitutionen selbst im politischen Dornröschenschlaf bleiben. Eine Kultur, die sich selbst als unpolitisch und wertfrei gibt, hat sich eigentlich schon aufgegeben. „Unpolitische Kultur“ ist aber gerade besonders „erfolgreich“, auch deshalb, weil Politik und Teile der Medien und des Publikums die harmlose

Unterhaltung am Abend mit dem Etikett „Kultur“ bevorzugen und diese „Kultur“ nach wie vor als unverfängliche Oberfläche für gepflegte gesellschaftliche Rituale funktioniert. Viele Kulturschaffende fügen sich diesem Diktum des „Unpolitischen“ widerstandslos (oder sogar gerne!). Auch vor dem Hintergrund, dass der Druck der Auslastung und der Eigenwirtschaftlichkeit vielen auf den Schultern sitzt, ist ein Blick in die Veranstaltungskalender in Salzburg zu erklären: Heile-Welt-Konzerte, Kunsthandwerksvernissagen und Boulevard-Komödien haben deutlich Oberhand. Der politische Kniefall der Kultur ist die unpolitische Kunst, die sie produziert. Zum Zwecke der Existenzsicherung biedert man sich an, tritt niemandem auf die Füße, verärgert niemanden, der an den Hebeln der Macht sitzt oder bald dort sitzen wird.

Genau diese Haltung eröffnet es einer neuen rechtsextremen Denkschule, die Kultur als ideologisches Schlachtfeld erkannt hat, dieses Schlachtfeld mit Leichtigkeit zu erobern. Wer sich jetzt noch unpolitisch gibt, ist eigentlich schon in Geiselhaft, oder macht sich (wieder einmal) zum Mitläufer.

„Nur eine Politik der Leitkultur kann das Ende unserer Identität und Demokratie aufhalten“, sagen die Identitären. Es ist an uns, an der Kunst, dies zu widerlegen.

Der Kulturkampf ist bereits in vollem Gange.

Markus Grüner-Musil,
Künstlerischer Geschäftsführer

© Markus Grüner-Musil, ARGEkultur