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Kritik • 23.11.2009 • Bernhard Flieher, Salzburger Nachrichten

Heiliger Zorn über Salzburg

Halbe Wahrheiten aus Salzburg, das zu klein ist für zwei Große: Die totale Rezensenten-Pflichterfüllung bei Howe Gelb und Wovenhand. Bernhard Flieher wagt eine Doppelrezension mit erholsamer Autofahrt.

An den Kopfbedeckungen sollt ihr sie erkennen! Howe Gelb hat sich am Sonntagabend im Rockhouse einen Kuba-Hut halb ins Gesicht gezogen, frech und verschmitzt lächelt er darunter einen Hauch von Unernsthaftigkeit herbei. David Eugene Edwards, Anführer von Wovenhand, hat sich zum gleichen Zeitpunkt in der ARGEkultur sein Kampfstirnband umgelegt. Die Augen schauen gerade noch darunter hervor. Und wären sie verschwunden, es wäre auch egal. Er öffnet sie ohnehin kaum in seinem kämpferischen Ernst. Gelb hingegen marschiert, manchmal wie ein Bar-Crooner launig zurück auf seinem Weg durch die Geschichte der populären Musik.Gelb und Edwards entstammen derselben künstlerischen Schublade: Americana, diesem mythologischen Reich, in dem das Leben auf Basis der Tradition und mit dem Geist der Moderne aufgearbeitet wird im Zwischenland aus Folk, Country, Blues, Rock und artverwandten, bodenständigen Errungenschaften Amerikas. Dass diese beiden Helden der zeitgenössischen Rockmusik am selben Tag in der Stadt spielen, ist bitter und kann den Veranstaltern in ARGE und Rockhouse freilich nicht verziehen werden (aber auch nicht vorgeworfen, denn wer würde auf solche Engagements verzichten, wenn sie ihm angeboten werden). So teilte sich die ohnehin überschaubare, potenziellen Jüngergemeinde für aktuellen Rock. Schweren Herzens - wie Besucher an beiden Orten bestätigten. Jeweils rund 100 Besucher waren in der ARGEkultur und im Rockhouse.Gelb tastete sich ein weiteres Stück zurück bei seiner seit Jahren praktizierten Aufarbeitung jener populären Musik, die er liebt und die ihn prägt(e). Mit Giant Sand testete er einst die Grenzen der Rockmusik. Live führte das schon mal an die Grenzen des Gehörüberforderungen- weniger wegen der Lautstärke, sondern wegen der Vielschichtigkeit, die da unter die Leute gebrachte wurde. Nun spielt er am Ende des Konzertes darauf an, dass er nun ja auch schon über 50 Jahre alt sei und da sei alles nicht mehr so einfach. Also macht man es sich einfach. Einst kultivierte er seinen Ruf als Schwieriger. Nun kommt er - begleitet von nur einem Bassisten - als launiger Unterhalter daher. Vor ihm die akustische Gitarre und ein paar Effektgeräte, die manch herrlich verzerrten dichten Sound hergeben, oder das E-Piano, hinter ihm der Schalk im Nacken. Da wird dann etwa recht entspannt von den Schwierigkeiten der Liebe im Sommer in der Wüste berichtet. Gelb, ein Tüftler und Wegbereiter einer Deutung der Rockmusik für das aktuelle Jahrtausend, erweist sich an diesem Abend als Mann für das Profane, charmant in Form und Inhalt präsentiert. Ein geerdeter Typ ist er, der zu einer Reihe ausgefallener Harmonien und manchmal mit einer Stimme, die an die zeitlose Weisheit von JJ Cale oder Townes van Zandt erinnert, eher darüber singt, was er zu Gesicht bekommt, als darüber, was sich daraus für Schlüsse ziehen lassen. Daraus entwickelt er Momente von Leichtigkeit und Lässigkeit. Zurück bleibt die Ungewissheit, was bei solcher Launigkeit nun ernst gemeint ist und was nur ein kleines Späßchen sein soll. Allein, weil Gelb solche Ungewissheit erzeugt, stellt sich die kurze Autofahrt zwischen den Konzertorten im Nachhinein als unverzichtbare Pufferzone heraus.

Denn zuvor - in der ARGEkultur - war von Lässigkeit und Leichtigkeit keine Spur. Diese Begriffe sind David Eugene Edwards fremd, wenn er - auch sitzend wie Gelb - predigt. Mit der Gitarre in der Hand, einem ins Rhythmushalten vertieften Bassisten neben sich und einem Schlagzeuger hinter sich, der die Kunst beherrscht aus Schlägen Melodien werden zu lassen, werden Songs zu Pamphleten. Wovenhands Kunst gleicht in ihrem Vortrag einer permanenten Entäußerung des Innersten. Edwards versinkt hinter seinen geschlossenen Lidern. Nur selten reißt er die Augen auf, als hätte er das Licht am Ende des Tunnels gesehen, der Leben heißt. Er gehört zu den wenigen Künstlern, die einen auch beim wiederholten Sehen und Hören nach wenigen Takten davon überzeugen, dass sie jede Note, jede Zeile genau hier und jetzt spüren, als spielten sie zum allerersten und gleich auch zum letzten Mal. Eine Haarsträhne klebt am Schweiß, der Anstrengung dokumentiert, mit der hier jedes Wort gefunden werden und mit bebender Ernsthaftigkeit die Welt erreichen muss. Martyrien singt, schreit, ächzt, wispert Edwards. Er findet kein Ruhe. Niemand wäre irritiert, ereignete sich vor der Bühne in der AGRE eine Wunderheilung zu den beängstigenden, in ihrem Soundrausch beinahe gewalttätigen Hymnen. Die Intensität, die die drei Herren mit sparsamsten Einsatz von Instrumenten erzeugen, gleicht einem heiligen Lärm, einem Zorn, der das Geschehen der Welt transformiert in ekstatische Rockmusik, die es mit allem aufnimmt zwischen Himmel und Hölle.

© Bernhard Flieher, Salzburger Nachrichten

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