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Kritik • 06.12.2009 • Reinhard Kriechbaum, DrehPunktKultur

Guillotine4you oder: Rebellion nach Quote

"Du wurdest 25 Mal gegruschelt." Das gibt Auftrieb, wenn man gerade französische Revolution im Banlieu anzettelt. - "Gold extra" denkt in einer Theaterproduktion nach über Politik, Gesellschaft und neue multimediale Möglichkeiten.

06/12/09 Wo haben sie denn bloß die Keyboards gelassen? Sechzehn Bildschirme stehen im Zuschauerraum, drei bis vier Besucher setzen sich also neben oder vor einen Screen. Web 2.0 ist ja eine kommunikative Sache. Werden wir Zuschauer eingreifen können ins Geschehen? Nein, das denn doch nicht. Dafür brauchte es ja Tasten. Ohne Enter-Drücker geht bekanntlich gar nichts heutzutage.

Live auf der Bühne, auf zwei Projektionsleinwänden und auch mit einer Episode, in die das Publikum einbezogen ist, wurde uns am Freitag und Samstag (4./5.12.) vorgeführt, dass Interaktion heute alles ist. Zwei Blogger lernen wir kennen. Sie sind in Paris, das natürlich jenes von heute ist: Aus den Banlieus berichten junge Reporterinnen und Reporter, von der Börse und sogar von einem Tierspital, wo ein maroder Köter (Sam, der "König der Herzen") Besuch von der Gattin des französischen Präsidenten bekommt. Es geht hier also um die wirklich wesentlichen Dinge im Leben, die alle interessieren (müssen). Wie wäre die Französische Revolution verlaufen, wenn Blogger die Initiative ergriffen hätten? Wäre es zu einem gewaltigen Showdown in Form einer ultimativen Polsterschlacht gekommen?

Aber mal langsam: Vor allem sehen wir ja zwei Widersacher, die mit Verbissenheit ihre Schaumstoff-Keyboards bearbeiten. Sie haben den Blog für sich entdeckt und versuchen nun, Sympathisanten auf ihre Seite zu ziehen. Links auf der Bühne werkt Jean-Paul Marat (Dirk Warme), Wortführer der strengen Jakobiner. Er ist ein Denker, in einer Szene hantiert er gar altmodisch mit Papier-Manuskripten. Das kann nicht gut gehen. Er sieht ziemlich alt aus neben Charlotte Corday (Dorit Ehlers), der Vertreterin der gemäßigten Girondisten. Die wirkt nicht nur lebefrisch, sie ist jung, herzig anzuschauen und trägt ihr Herz auf der Zunge, pardon: auf den Tasten. Der Zweikampf entpuppt sich als beinhartes Ringen um die Quote. "Corday hat schon tausend News, wie macht die das?" So klagt Marat, während er gerade ein Mal "gegruschelt" wurde.

Das ist also virtuell ganz wie im echten Leben. Eine typische Produktion von "Gold extra". Sonja Prlic und Karl Zechenter (Text, Regie), Doris Prlic, Tobias Hammerle und Reinhold Bidner (Visuelle Gestaltung) und Severin Weiser (ja, so etwas Altmodisches wie ein Bühnenbild gibt es auch) - sie haben die Story von Charlotte Corday und Marat ins Heute und in die heutigen Möglichkeiten von Kommunikationen übersetzt. In Wirklichkeit hat Corday Marat in der Badewanne erstochen, vier Tage darauf ist sie auf dem Schafott gelandet. "Guillotine4you" hieße das in unserer Zeit vielleicht.

Das ist mal ironisch, mal beißend komisch umgesetzt. Man spielt mit historischen Bild- und Textzitaten. Mit erfrischender Distanz und, wenn man will, "ergebnisoffen" gehen die "Gold extra"-Leute an die Sache ran. Der fast eindreiviertelstündige Theaterabend wirkt nicht belehrend, aber man kommt trotzdem ins Grübeln: Zwei revolutionäre Flanken, unterschiedliche Positionen und Strategien. Wie könnten sich Mehrheiten bilden, wenn Web 2.0 Kreti und Pleti das Handwerkszeug liefert, Meinung zu verbreiten und Verbündete zu mobilisieren? "Gibt es hier Männer?", fragt Charlotte, und sie gibt den Slogan aus: "Mehr Feuer, liebe Freunde!". Gleich drauf steht die Tankstelle, wo sie arbeitet, in Flammen. Das sichert Quote, wogegen auf der Marat-Seite die "Wut über den verlorenen Groschen" tönt (die Musik-Zitate sind kreativ).

Lösungen? Es scheint auf eine Soft-Revolution hinauszulaufen, mit der sich zur Not sogar die Aktien-Halter von Großkonzernen wohlwollend identifizieren können. "Ich, ich, ich" sind die letzten Worte an diesem Theaterabend. Die Stimmung einer Generation von Einzelkämpfern im Blog?

© Reinhard Kriechbaum, DrehPunktKultur

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