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Kritik • 31.01.2011 • Nina Ainz, DrehPunktKultur

Unstern und Sternchen

Der Berliner Liedermacher Hans Unstern entführte im Roten Salon in sein "Sprachmusikdickicht". Nino aus Wien ließ seinen Wiener Schmäh spielen und "Chili and the Whalekillers" zeigten, dass auch die Salzburger Popmusikszene musikalisch einiges zu bieten hat.

Ins viktorianische England fühlte man sich gleich zu Anfang versetzt: Sänger Kilian alias Chili von Chili and the Whalekillers kam im Oliver-Twist-Outfit mit Zeitungsjungenkappe und Halstuch, sein Bandkollege Hjörtur nahm Anleihe am Dandy des späten 19. Jahrhunderts. Die Salzburger Band hatte am Freitag (28.1.) das Vergnügen, den Roten Salon in der ARGEkultur zu eröffnen. Das taten sie selbstbewusst und mit jener gewissen Starattitüde, die man vermutlich braucht, um sich in der Musikszene zu etablieren. Das vergleichsweise junge Quintett spielt beschwingten und teils jazzig angehauchten Indie-Pop, der immer wieder stark an ihr Vorbild Bob Dylan und Gitarrenpop aus dem Heimatland von Charles Dickens erinnert.

Die Bühne gehörte anschließend dem Singer/Songwriter Nino aus Wien, der durch Heavy Rotation auf FM4 und einen Gastauftritt bei "Willkommen Österreich" bereits so etwas wie ein Star in der heimischen Musikszene ist. Der 22-jährige Wiener setzt auf charmant-schrulliges Gehabe und Lieder mit Titeln wie "Schlagoberskoch" und "Du Oasch". Gearbeitet wird hier mit viel Wiener Schmäh, gespielt mit Einflüssen von Austropop und André Heller. Von Ninos Ansagen zwischen den Liedern versteht man leider oft nicht viel, denn Teil von Ninos Schmäh ist es, möglichst unverständlich ins Mikrofon zu nuscheln.

Punkt Mitternacht wird es dann dunkel im Roten Salon. Was vor wenigen Augenblicken noch eine konventionelle Konzertbühne war, verwandelt sich in den Schauplatz von Hans Unsterns eigenem Klanguniversum.

Der Auftritt des Berliner Liedermachers bildete den unangefochtenen Höhepunkt dieses Abends. Ein weißes Tuch trennt einen schmalen Streifen am vorderen Ende der Bühne von der Band, die sich zu Beginn des Konzerts dahinter befindet. Hans Unstern steht allein vor dieser weißen Wand, ein schmächtiger Waldschrat mit langem Bart, Gitarre und Mundharmonika.

Das erste Lied, "Tief unter der Elbe" vom Debütalbum Kratz Dich Raus, singt er allein und ohne jegliche elektrische Verstärkung. Als die letzten Takte erkennbar werden, folgt ein zaghaftes Klatschen. Doch Applaus ist in Unsterns Gesamtkunstwerk nicht vorgesehen; schnell werden die unerwünschten Applaudierer in ihre Schranken gewiesen, die letzten Mundharmonikaklänge wollen nicht abreißen. Nicht umsonst heißt es in "San Simon": "Dein Applaus ist mir zu laut."

Unstern begibt sich an den Rand der Bühne. Dort projiziert er sein Gesicht mithilfe eines Scanners an die weiße Leinwand, während er die ersten Strophen von "Ein Coversong" ins Mikrofon spricht: "Schäl dich aus dem Torf / Lass den Regen helfen / Der Dunst der Nebel / Wie der Tau in der Knospe ertrinkt / Wälz dich entlang der Sümpfe / Wunder die Wege / Wiege die Krumen / Kratz dich raus." Hans Unstern scheut das Theatralische keineswegs.

Schließlich hebt sich der weiße Vorhang und gibt den Blick frei auf einen kellerverliesartigen Raum und Unsterns Band: Els Vandeweyer, Vibraphon; Simon Bauer, Kontrabass; Daniel Schröteler, Schlagzeug und Milian Vogel, Bassklarinette. Mehrere kleine Lampen hängen flackernd von der Decke, im Hintergrund wird erst der Videoclip zu "Ein Coversong" an die Wand projiziert, danach Bildercollagen: Lexikonseiten, eine Blaumeise, eine Waldlichtung. Hans Unsterns Konzerte vereinen Performancekunst mit Klangexperimenten, hier wird aus den einzelnen Instrumenten ein jeder nur mögliche Ton herausgeschält. Dazu die metaphernschweren Songtexte, die in der deutschsprachigen Popmusik ihresgleichen suchen.

Die Zeit schrieb anlässlich des Erscheinens von Kratz Dich Raus: "In einer Zeit, in der es als Gipfel zivilisatorischen Fortschritts gilt, alle paar Monate ein neues Handy zu besitzen, schlüpft Hans Unstern in die Rolle des Unzeitgemäßen. Er ist der Antistar unter den Sternchen, der Fehler im System, das Knacken in der Leitung eines universal gewordenen Kommunikationsgetöses. Wo seine Generationsgenossen sich eifrig vernetzen, stellt er sich bewusst daneben, wo sie sich nach der Decke strecken, lenkt er den Blick zurück auf das schwer Verwertbare." Treffender kann man diesen Ausnahmekünstler nicht beschreiben.

Am Ende des faszinierenden Ausflugs ins Unstern'sche Universum bedankt sich der schüchterne Künstler doch noch recht herzlich für den stürmischen Applaus. Er und seine virtuose Band lassen in dieser Nacht ein staunendes Publikum zurück, das in der Gewissheit die ARGEkultur verlässt, an diesem Abend Zeuge von etwas ganz Besonderem geworden zu sein.

© Nina Ainz, DrehPunktKultur

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