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Kritik • 14.06.2011 • Reinhard Kriechbaum, DrehPunktKultur

Der Traum vom Südosteuropa-Pop

Die Luftsprünge dieses Temperamentsbündels im Lauf eines Konzertabends: Das ergäbe vermutlich eine stattliche Anzahl von Höhenmetern. Die Stimmung in einem Shantel-Konzert ist sowieso am Gipfel, vom ersten Ton weg - so auch am Pfingstmontag (13.6.) in der ARGEkultur, wo es wieder mal hieß: "Disko Partizani".

Ein Stil? Eine Entgrenzung? Ein Bombardement aus Beat-Rhythmen mit dem Ziel, die kulturellen Mauern und den Eisernen Vorhang zumindest in den Ohren zu zertrümmern? Ein hochaktuelles Lebensgefühl für viele jedenfalls. Eines, das die Zuhörer spontan mit sich reißt. Diese jungen Leute, fast ausschließlich Teenies und Twenties, wissen, wem sie zulaufen, auch wenn in ihnen das Wort "Disko" mit "k" gerade eine nebulose Vorstellung von Osteuropa wachruft und sie - starker Verdacht - das Wort "Partizani" überhaupt nicht erklären könnten.

Aber sie haben trotzdem Shantels YouTube-Nummern angeklickt, millionenfach. Sie haben sich berauscht an dem tollkühnen und elektronisch kreativ verbrämten Stilmix zwischen rumänischer, bulgarischer, ukrainischer, griechischer Volksmusik. Sie beginnen schon die Arme hochzuwefen, wenn sie des smarten Shantel ansichtig werden. Und der hält seine Hände an die Ohren, rudert mit den Armen, um zu noch mehr Bewegung, zu noch mehr Begeisterung, zu noch intensiverem Mitsingen beim "Disko Partizani"-Ruf anzufeuern. Die Show dieses Springinkerls ist wichtiger als sein Spiel auf dem E-Bass oder sein Singen (er war ja DJ, bevor er sich selbst aufs Podium begeben hat).

Eigentlich heißt der Knabe mit dem scharf geschnittenen Bart, dem Anzug und der Krawatte Stefan Hantel und kommt aus Deutschland. Seine Stärke ist die Neugier (die Großeltern stammen aus Czernowitz im ehemaligen Monarchie-Kronland Bukovina). Er hat famose Balkan-Jazzer wie Fanfare Ciocarlia oder das Sandy Lopicic Orkestar promotet und deren Musik auf einschlägige Sampler gebracht. Für sein Bucovina Club Orkestar, das nun Stile und Musik-Landschaften zusammenbringt und mutig verschneidet, hat er von dort tolle Leute "geborgt". Und gleich zwei charismatische Sängerinnen dazu: die Kanadierin Brenna MacCrimmon, die so verführend-"zigeunerisch" wirkt, und die Sandy-Lopicic-Sängerin Vesna Petkovic.

Aus vollem Rohr (zwei Trompeten, Tuba, Basstuba) wird da ein heftiger, in die Beine fahrender Beat erzeugt, der Akkordeonspieler improvisiert munter drauf los. Shantel selbst unterstützt den Schlagzeuger schon auch mal und bearbeitet selbst die kleine Trommel. Aber vor allem ist Shantel der Animator, der zwischen Bühne und den vorderen Publikumsreihen hin und her hopst und die Stimmung anheizt. Und die jungen Leute? Sie brauchen wohl nichts zu verstehen von den Liedtexten in Russisch, Serbisch, Rumänisch, Griechisch (vielleicht erkennen sie die Sprachen ja gar nicht). Die Textübersetzungen kann man sowieso googeln. Sie wippen, tanzen, lassen sich anfeuern zum Gestikulieren - und möglicherweise träumen sie mehr unbewusst als bewusst von einer südost-erweiterten EU. Dorthin richtet Shantel die musikalischen Wegweiser. Der Pop-Mix des Bucovina Orkestar könnte für die völkerverständigende Reise tatsächlich eine allgemein und spontan verständliche Sprache sein.

© Reinhard Kriechbaum, DrehPunktKultur

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