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Kritik • 22.07.2011 • Erhard Petzel, DrehPunktKultur

Ein Blitz und der Engel des Herrn

Schon die Zahlensymbolik und der Ansatz zur Verkündigung einer unbefleckten Empfängnis als Rahmenvorgaben stimmen auf eine transzendente Publikumshaltung ein: "der engel des herrn" ist übergreifendes Thema des Taschenopernfestivals in der ARGEkultur.

Sieben Taschenopern am Stück (der Begriff Operette ist leider vergeben und nicht alle wollen neue Oratorien sein) als Uraufführungen mit gemeinsamer Vorgabe: 12 Minuten Dauer, in deren Mitte ein Blitz, Inhalt angeregt durch den Satz "Angelus Domini nuntiavit Mariae": Was die Teams daraus machen, korrespondiert zuweilen miteinander, ist aber erfrischend verschieden voneinander. Uraufführung aller Werke war am Mittwoch (20.7.).

Stärkste Klammer sind der intelligente Bühnenaufbau (das Orchester thront in der Hinterbühne auf einem Podium, darunter das Klavier) und die Beschränkung auf eine Bühne in Schwarz oder Weiß. Farbenspiele über Licht, manchmal Kostüme, immer wieder rote Luftballons, am Schluss rote Farbe, die Salome aus einem Kübel über den weißen Boden verteilt, ihr Haarschopf als Pinsel.

Der Bogen verarbeiteter Texte spannt sich von der Verkündigung aus dem Lukas-Evangelium ("Wie jetzt?") über andere Bibelstellen, Heiner Müller, Euripides, James Joyce, Sophie Reyer und Oscar Wilde. Hans-Peter Jahn stellt seinen Text als solchen ins Zentrum in "Kennwort: m.e.s.s.i.a.s". Musik findet über die Musiker eines Streichquartetts auf der Bühne statt und umgibt die Figur eines Bühnenarbeiters mit einer Aura wie Jesus in Bachs Matthäus-Passion, während zwei Frauen in rüder Sprache Maria und Engel im Rotlichtmilieu abgeben.

"Versteinerte Flügel" dagegen ist eine von Reinhold Lay zusammengestellte Textcollage, in der chorisch gesprochen, gesungen und nach roboterhafter Choreographie getanzt wird. "Mit brennendem Öle" holt zum Gesang der biblischen Jungfrauen Braut um Braut hervor, nachdem ein flotter Matrose den Volksmund tätigt, wonach in jedem Hafen eine auf ihn warte. Aus der großen Zahl wunderbarer Solisten vielleicht zu erwähnen die ganz junge Marie-Christin Trattner als Mädchen und letztes kindliches Braut-Jungfräulein.

Die eindrücklichsten Erlebnisse bieten nach der Pause die betont literarisch ausgerichteten Werke. Jeweils im Klonpaar wird in "Wer zum Teufel ist Gerty?" (Thierry Bruehl und Brigitta Muntendorf) Text aus dem 13. Kapitel des Ulysses gesprochen, gespielt, imitiert, leicht verfremdet und gesungen. Sexuelle Gier und emotionelle Distanz verdichten sich im Gesamtkonzept von Text, schauspielerischer Leistung, Musik, Licht und Choreographie auf einer Metaebene. Der Blitz fährt zwischen die gendermäßig unterschiedliche Wahrnehmung und markiert den raffinierten Auf- und Abbau in der Konzentration auf die Erregung.

Während sich ein weißer Frauenkörper über die schwarze Bühne müht, eine Art Pflugschar zum Geschlecht nachziehend, sprudelt aus einem schwarzen Frauen-Quartett der Text von Kindsmörderinnen hervor, verschluckt sich zunehmend, als die Weiße zur Sprache findet und diese damit individualisiert. Der Blitz vertreibt sie, Gesang bleibt hinter dem Transparent, das Bühne und Orchesteraufbau trennt, der Textzug "gegrüßt sei maria" füllt es aus. Eine weiße Maria rezitiert dann auf der Bühne schwarze Moral; eine Beziehung zu einer Kindsmörderin und ihrem Leid ist uns durch die Überlieferung eines Gerichtseintrags zugänglich. Reinhold Schinwalds zwingende Arbeit "fremd körper" über einen erschütternden Stoff.

Zum Schluss Hüseyin Evirgens sich ständig steigernder Marsch in der rhythmischen Passacaglia einer neurotisch getriebenen Salome (Nicola Gründel) in Weiß, akkordiert von einem schwarzen Damenterzett in "look at the moon". Text und sparsame Choreographie gegliedert durch Blackouts, nach denen sich die Intensität des Lichts steigert bis zum Orgasmus eines Stretoskopes, der Versuch sich im Blutrausch zu spüren und im Puls abklingt.

Die Leistung dieses Unterfangens kann gar nicht genug gewürdigt werden, die Darstellung der Teams und einzelnen Künstler muss aufgrund der Fülle in der Gesamtschau aufgehen. Sehr zu empfehlen ist das engagierte und ausführliche Programmheft.

© Erhard Petzel, DrehPunktKultur

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