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Presse • 29.06.2011 • Bernhard Flieher, Salzburger Nachrichten

"Wir haben uns nichts mehr zu sagen"

Erfolg mit dem Einfachen: Zum 150. Mal moderieren Stermann & Grissemann die Sendung "Willkommen Österreich".

Vor 20 Jahren starteten Dirk Stermann und Christoph Grissemann im Radio mit "Salon Helga". Entgegen aller Prophezeiungen wurden ihre Show Kult, ihre Bühnenprogramme erfolgreich und in der ORF-"Donnerstag Nacht" wurden sie mit "Willkommen Österreich" (Donnerstag, 22.35 Uhr, ORF eins) auch noch TV-Stars. Ein Gespräch über die Anarchie des Witzes, unmögliche Gäste und den Tod der Pointe.

SN: 1999 war der Titel Ihres ersten Bühnenprogramms "Das Ende zweier Entertainer". Nun sind Sie TV-Stars. Was lief schief?
Grissemann: Stimmt, es läuft etwas entscheidend falsch.
Stermann: Es ist halt wie immer, dass man erst mit den Jahren gehört wird. Das Stichwort ist: Akzeptanz durch Penetranz. Wenn man einfach weitermacht, resignieren die Leute irgendwann einfach und nehmen dann halt an, dass etwas, das lange da, einfach da sein darf.

SN: Eigentlich ist das eine deprimierende Analyse.
Stermann: Nein, gar nicht. Als wir Anfang der 1990er- Jahre angefangen haben im ORF, sagten uns die Leute dort ja selbst, dass es Scheiße ist, was wir machen.
Grissemann: Nein. "Scheiße" haben sie nicht gesagt.
Stermann: Doch, das haben sie.
Grissemann: Auf jeden Fall haben sie gesagt, dass das, was wir machen, bestenfalls ein paar Tausend Leute interessiert. Jetzt schauen im Schnitt 250.000 zu.
Stermann: Was aber wirklich zählt, ist die relevante Zielgruppe. Da liegen wir bei 30, 35 Prozent. Davon kann Stefan Raab nur träumen. Wir sind ja wie "Wetten, dass ..?", als es noch keine Privatsender gab.

SN: Ihr anarchischer, harter Witz und Ihre nonsenshafte Hintergründigkeit sind also salonfähig?
Stermann: Das liegt aber nicht an uns, sondern an der Gesellschaft. Als wir anfingen, haben Harald Schmidt und auch Helge Schneider begonnen. Da fragt sich heute ja keiner mehr, ob das eine Berechtigung hat. In Österreich gab es so etwas nicht und wir haben diese klitzekleine Lücke geschlossen - damals im Radio. Was daraus werden kann, darüber dachte keiner nach. Wir sind ja ziellos. Wir haben halt so vor uns hingesendet. Und dann kam 1994 die Idee, wir sollten einmal auf eine Bühne, und das haben wir geschehen lassen, ohne weiter darüber nachzudenken.
Grissemann: Doch! Wir haben uns schon was überlegt. Du hast ein Hauskleid angehabt und ich ein hautenges Leopardenkostüm - ein erbarmungswürdiges Bild.
Stermann: ... und wir haben den Lugner eingeladen.
Grissemann: Genau. Der Lugner! Tiefer geht es tatsächlich nicht.

SN: Die Gäste bei "Willkommen Österreich" haben mehr Niveau.
Stermann: Am Anfang wollte keiner kommen, weil wir so einen schlechten Ruf hatten. Aber dann hat sich herumgesprochen, dass in der Sendung eine gute Atmosphäre herrscht - vor allem vorher und nachher. Und die Gäste sind auch wichtig, weil wir ja nichts mehr immer miteinander zu reden haben. Wir haben uns ja gar nichts mehr zu sagen.
Grissemann: Das Interessante an "Willkommen Österreich" ist, dass es seit ungefähr 130 Sendungen exakt gleich funktioniert. Zehn Witze. Zwischen den Gesprächen kommt Hermes. Russkaja spielen immer die gleiche Musik. Mich hat es schon überrascht, dass so ein simples Strickmuster so gut funktioniert.
Stermann: Wir wurden ja jahrelang vom Fernsehen gedemütigt. Wir sollten - immer wenn Reformen anstanden - Ideen und Konzepte abliefern. Das haben wir dann zwei, drei Mal gemacht - und es wurde immer abgelehnt. Dann haben wir es gelassen, weil wir uns vom Fernsehen doch nicht verarschen lassen. Die Angst-Sendung, aus der dann später "Willkommen Österreich" wurde, war auch gar nicht unsere Idee. Darum sind wir da nicht euphorisch herangegangen. Es war nicht unser Konzept. Das war alles so kompliziert aufgebaut. Wir waren dann sehr froh, als daraus eine ganz normale Sendung wurde. Das entspricht uns auch viel mehr.

SN: Das Einfache und Normale?
Grissemann: Ja, alles andere überfordert uns ja eh.
Stermann: Ich denke ja, dass der Wiedererkennungswert, die simple Struktur den Erfolg ausmachen. Da können sich die Leute dann darauf einlassen und müssen nicht jedes Mal schauen, wie die Form ist. Wenn der Grönemeyer sich jetzt da hinsetzt, kann man sich auf das Gespräch konzentrieren.
Grissemann: Nur dass ein Grönemeyer halt nur alle 100 Jahre kommt. In der Regel musst du mit Wetterlady Christa Kummer auskommen, wo du exakt überhaupt keine Fragen hast.

SN: Herr Grissemann, Sie führen Interviews mit Gästen ja ohnehin gern an den Rand des Abgrunds.
Grissemann: Ich halte mich nicht für einen sehr geeigneten Interviewer. Interessant finde ich Momente, wenn ein Interview nicht mehr funktioniert. Meine Stärke liegt wohl eher darin, ein Gespräch zu zerstören oder gewisse seltsame Stimmungen zu schaffen.

SN: Die Sendung lebt von Dilettantismus und Spontaneität. Wie lässt sich das erzeugen?
Stermann: Das liegt auch daran, dass wir nicht genug gute Pointen haben und nicht genug Zeit zu proben. Wir zeichnen wöchentlich zwei Sendungen auf. Immer hintereinander. Wir können die Witze für die zweite nicht lernen, weil wir ja die erste lernen müssen, um da halbwegs durchzukommen. Bei der zweiten Aufzeichnung ist alles leer. Da ist es keine Frage mehr, ob's ein guter Witz ist. Während du in die Gesichter im Publikum schaust, die dich mit lähmenden Entsetzen anschauen, musst halt sagen "Danke, Autoren".
Grissemann: Aber wir bereiten das Publikum schon darauf vor.

SN: Wie denn?
Grissemann: Wir sagen vorher, dass sie trotzdem lachen sollen - und zwar dann, wenn wir aufhören zu reden. Dann ist in der Regel der Witz zu Ende.
Stermann: Es sei denn, wir hören auf, weil wir nicht mehr weiterwissen.

SN: Im Grunde geht es bei Ihnen ja ums Niedermetzeln von Witzen.
Stermann: Das ist unser ureigentliches Terrain. Wenn Witze zerstört werden, entspricht uns das mehr, als wenn Witze perfekt erzählt werden.

SN: Also geht es ums Scheitern?
Stermann: Scheitern ist der ganz zentrale menschliche Moment der Sendung.
Grissemann: Da wird aus der Not eine Tugend. Wenn du zehn Witze hast, von denen nur vier Brüller sind, dann musst du das Publikum dazu bringen, dass es verzeiht.
Stermann: In Wahrheit machen wir die Sache für die Leute im Saal. Wir haben früher mal eine Late-Night-Show ohne Publikum gemacht und sind dabei kolossal gescheitert. Wir können das nicht abstrahieren. Da sind wir nicht Fernsehprofis genug. Wir sind Huren des Live-Publikums.

© Bernhard Flieher, Salzburger Nachrichten

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