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Kritik • 28.09.2011 • Bernhard Flieher, Salzburger Nachrichten

Aus Demütigung wachsen kaputte Witze

Wie findet man einen neuen Witz, der sich zum Lachen kaputt machen lässt? Auf dem schmerzhaften Weg zu einem neuen Bühnenprogramm mit Dirk Stermann und Christoph Grissemann.

Bis ein Witz geht, braucht es Zeit. Zum Beispiel der: In Afrika gibt es so wenig Wasser, dass sich manche nur die Wimpern duschen können. Das muss sickern durch alle Filter der politischen Korrektheit. Das braucht Zeit - und die fehlt. Die Urlaubsplanung war nämlich schlecht. Dirk Stermann war im Juli weg, Christoph Grissemann im August. Die beiden schreiben ihre Bühnenprogramme ausschließlich gemeinsam. Und im Oktober hat das neue Premiere.

Üblicherweise verordnen sich die beiden ein zweiwöchiges Schreibprogramm, fahren gemeinsam weg. Das ging sich heuer nicht aus. Seit vergangener Woche wird ihr neues Programm in Previews getestet.

Den Titel - "Stermann" - gibt es seit ein paar Monaten. "Ein Tribut an das Geschäft", sagt Grissemann. Säle müssen lang im Vorhinein reserviert werden. Veranstalter brauchen ein paar Infozeilen, ohne dass es eine Textzeile gibt. "Ohne Druck geht bei uns aber eh nichts", sagen beide. Seit Ende der 1980er-Jahre kennen die beiden Mittvierziger einander. Sie begannen im Radio bei FM4, wo sie sich immer noch zu Hause fühlen. Sie drehten einen Film, wollten zum Songcontest, schrieben Bücher, moderierten TV-Shows - alles mit anarchischem Witz, den sie in Österreich salonfähig machten. Neuerdings sind sie TV-Stars wegen der Late-Night-Show "Willkommen Österreich". Leichter wird die Suche nach guten Pointen trotz der Erfahrung nicht.

Üblicherweise schreiben sie ihre Texte in Hotelbars - oft in Billigurlaubsländern. "Da gibt's nur Fremde", sagt Stermann. Anonymität erhöht die Konzentration. Heuer aber trafen sie sich in Nizza. Das Weiß des Schreibpapiers starrte sie dort - wie üblich - fürchterlich an. Am Anfang gibt es auch keine Witze, da gibt es nur Sätze. Sie lesen sich gegenseitig vor. "Man verletzt sich gegenseitig, weil man die Witze des anderen scheiße findet", sagt Stermann. Fassungslos sei er bei mancher Idee Grissemanns gewesen. Altherren-Witze. Übelste Sorte. "Einerseits muss man den anderen gut kennen, um das überhaupt so machen zu können. Andererseits macht das Demütigungen besonders schmerzhaft", sagt Grissemann.

Die Demütigungen, das gegenseitige Vorführen wird auf der Bühne als Entertainment zelebriert. Die Arbeit im Duo aber hat "mehr mit Psychologie als mit Poesie zu tun", sagt Stermann. Die Angst, dass der andere Witze abschmettern könnte, ist immens. "Da gibt es auch nach vielen Jahren keine Sicherheit. Wir haben ein hohes Potenzial, uns gegenseitig sehr weh zu tun." Bis Tiefschläge und Pointen sitzen, fliegen beim Probieren die Fetzen - weil auf den Fetzen Witze notiert sind, die noch ausgemustert werden müssen. Beim ersten Preview, eher einer öffentlichen Probe vor wenigen Tagen in der ARGEkultur in Salzburg streichen sie live im Textbuch, wenn das Publikum unwillig reagiert. Das ist kein kokettes Überspielen von Schwäche. Das Publikum ist Gradmesser für die Härte der Lustigkeit. "Wir haben keinen Regisseur, keinen Blick von außen", sagt Stermann. Und was ist lustig? "Lustig ist das, was man uns verzeiht."

Wenn an einer Stelle nicht gelacht wird, ist das aber noch kein Todesurteil für die Pointe. Es gilt: "Wir wollen mit dem Publikum einen guten Abend haben, Und wenn ich nur in gelangweilte Gesichter schaue, vergeht es mir ja selbst auch," Es gibt keine Geschichte, kein Thema, an denen man sich entlanghangeln kann. Es gibt nur losen Zusammenhang.

Schwierig ist das, zumal, wenn es Prinzip ist, Witze zu erzählen und sich gleichzeitig darüber lustig zu machen, dass man sie erzählt. Es ist ein Kampf, denn es gibt viele Unterhaltungsabende. Und nichts anderes wird fabriziert. "Es ist ein Unterhaltungsabend unter vielen", sagt Stermann. "Du brauchst für ein zweistündiges, funktionierendes Bühnenprogramm über den Daumen gepeilt 40, 50 Witze. Im Grunde ist das nicht herstellbar", sagt Grissemann. Erst recht, wenn die Witze, gleich wieder kaputt gemacht werden sollen. "Wir leben davon, dass wir alles, was wir tun, wieder zerstören", sagt Stermann.

Die Dynamik auf der Bühne lebt vom Plauderton: Um ihn wird hart gerungen. "Die Anmutung ist, dass das spontan, einfach so passiert und dass es in dem Moment, wo es passiert, auch total wurscht sein könnte - dass man also jederzeit scheitern kann, weil man so dahinredet", sagt Stermann. Das Dahinreden will ausgefeilt sein.

"Schön wär's", sagt Grissemann in einer Pause beim Proben, "wenn's nur Previews und nie eine Premiere gäbe. Dann wär' immer alles möglich und muss nie fertig werden, was eh nie fertig werden kann." Die Zweifel, ob es nicht bescheuert sei, für ein paar "peinliche Witze auch noch Geld zu verlangen", lassen sich nicht wegtrainieren. Grissemann wollte gar kein neues Programm machen. Er mag das nie. "Ich mag ja kreative Arbeit überhaupt nicht. Es ist das Schlimmste, sich einen Witz auszudenken." Um das Schlimmste hinauszuzögern, werden alte Texte sondiert. Brauchbares wird aufgelistet. Rundherum wird das Neue gebaut. "Bei uns ist ja eh immer alles ein Best-of, weil wir nicht mehr haben als das, was wir vorstellen", sagt Stermann.

© Bernhard Flieher, Salzburger Nachrichten

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