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Presse • 16.11.2011 • Robert Innerhofer, Salzburger Nachrichten

Wenn Repression an ihre Grenzen stößt

In dem Buch "§278a - Gemeint sind wir alle!" wird der umstrittene Wiener Neustädter Tierschützerprozess beleuchtet. Am Dienstag wurde das Werk im Rahmen vom Open Mind Festival in der ARGEkultur von Co-Herausgeber und Angeklagtem Christof Mackinger präsentiert.

Am Morgen des 21. Mai 2008 werden zehn österreichische Tierrechtsaktivisten festgenommen und für über drei Monate in Untersuchungshaft gesteckt. Ihnen wird die Gründung einer kriminellen Organisation und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation nach Paragraf 278a vorgeworfen. Drei Jahre später, am 2. Mai 2011, werden alle 13 Angeklagten in einem Aufsehen erregenden und überaus kostspieligen Prozess in allen Punkten freigesprochen.

Seit Juni gibt es nun ein Buch, das die Geschehnisse rund um den Wiener Neustädter Tierschützerprozess beleuchtet. Einer der beiden Herausgeber des Buches „§278a - Gemeint sind wir alle!“ (Mandelbaum Verlag) ist Christof Mackinger aus Salzburg, ein Angeklagter im Prozess. Der Politikwissenschafter und Mitglied der Basisgruppe Tierrechte präsentierte den Sammelband am Dienstagabend im Rahmen des Open Mind Festivals in der ARGEkultur gemeinsam mit seiner Co-Herausgeberin, der Historikerin Birgit Pack.

„Habe überlegt, ob ich weiter aktiv sein soll“

Die Zeit im Gefängnis und die anstrengenden Monate während des Prozesses (es gab 88 Verhandlungstage, Anm.) haben bei Christof Mackinger Spuren hinterlassen: „Ich habe mir danach ernsthaft überlegt, ob ich weiter politisch aktiv sein soll.“ Sollte er das Risiko eingehen und zum Beispiel Demonstrationen auf seinen Namen anmelden? Christof Mackinger hat sich dafür entschieden, weiterzumachen und sich trotz allem nicht kleinkriegen zu lassen.

Aber auch der Griff zum Telefon hatte für Mackinger eine Zeit lang einen bitteren Beigeschmack: „Ich habe mich dabei ertappt, wie ich mich selbst dabei einschränkte, allzu private Dinge am Telefon zu besprechen“. Denn was den Verhaftungen und dem Prozess vorausgegangen war, war ein systematischer Lausch- und Bespitzelungsangriff auf die Verdächtigten, ermöglicht durch die rigorose Anwendung des Paragrafen 278a.

Die Veröffentlichung des Buches ist für Christof Mackinger nun eine Art Aufarbeitung des Erlebten.

Hintergrund des Prozesses

Hintergrund des Tierschützerprozesses waren Aktionen gegen die Firma Kleider Bauer, vor deren Filialen regelmäßig Demonstrationen gegen Herstellung und Verkauf von Pelzen abgehalten wurden. Als es abseits der Demos zu nächtlichen Sachbeschädigungen kam, wurde vom Innenministerium und unter Druck der Bekleidungskette die Einrichtung der Sonderkommission SoKo Bekleidung beschlossen. Da nie eine direkte Verbindung zwischen den Straftaten und den angemeldeten Demonstrationen hergestellt werden konnte, wurde der Paragraf 278a zur Anwendung gebracht. „Dabei geht es um keine konkreten Straftaten, sondern eben um die Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation. Jetzt musste man nur noch Schuldige dafür finden“, sagt Christof Mackinger.

Buch als Sammelband konzipiert

Bei dem Buch „§278a - Gemeint sind wir alle!“ handelt es sich um einen Sammelband, der in drei Teile gegliedert ist. Der erste Teil widmet sich dem Paragraf 278a und seiner Anwendung auch bei früheren Prozessen in Österreich. Darunter die „Operation Spring“, bei der in den Jahren 1999 und 2000 Dutzende Menschen afrikanischer Herkunft wegen Drogenhandels festgenommen, beschuldigt und teilweise rechtskräftig verurteilt worden sind. Christof Mackinger verweist darauf, er und seine Mitangeklagten hätten in der Öffentlichkeit ein Gesicht gehabt, eine Lobby, die sie unterstützte. Ohne einen solchen Rückhalt aber wäre man der Justiz oft hilflos ausgeliefert. In diesem Teil des Buches erzählt Mackinger auch über die Zeit und die „schlimmen“ Bedingungen während der Untersuchungshaft. So berichtet er von übervollen Zellen, Isolation und Suizidversuchen von Mitgefangenen, aber auch von großer Solidarität unter Häftlingen und von den Hoffnung gebenden, regelmäßigen Demonstrationen vor der Haftanstalt in Wiener Neustadt.

Tierschützer als Terroristen

Doch war es Zufall, dass der umgangssprachlich als „Mafia-Paragraf“ bezeichnete §278a in Österreich auch gegen Tierschützer angewendet wurde? Im zweiten Teil des Buches wird über den österreichischen Tellerrand hinausgeblickt und festgestellt, dass seit einiger Zeit vor allem im angloamerikanischen Raum Tierrechtsaktivisten von der Justiz als mutmaßliche Terroristen eingestuft werden. Birgit Pack und Christof Mackinger sammelten Beiträge verschiedener Autoren zum mit „Repression im Kontext“ übertitelten Mittelteil des Buches, wie zum Beispiel von Will Potter, einem US-amerikanischen Journalisten. Dieser erklärt, dass es in den USA spätestens seit Al Gores Film „Eine unbequeme Wahrheit“ ein „Mainstreaming“ von Umweltfragen gibt. Das Paradoxe daran: Während Themen wie zum Beispiel die Erderwärmung medial und in der Öffentlichkeit Hochkonjunktur hatten (und haben), entstand zeitgleich im Schatten von Amerikas „Krieg gegen den Terror“ und unter Einflussnahme mächtiger Firmen die Haltung, Tierrechts- und Umweltaktivisten würden die größte terroristische Bedrohung innerhalb der USA darstellen. Und das obwohl (im Gegensatz z. B. zu rechtem Terror) bei keiner Aktion von Umweltaktivisten je ein Mensch zu Schaden gekommen wäre. Bei Prozessen in den USA und Großbritannien kam es dennoch zu Verurteilungen. Wie in einer globalisierten und vernetzten Welt üblich, wurden derartige polizeiliche Denk- und Vorgehensweisen eben auch nach Europa und Österreich „importiert“.

Knalleffekt bringt Wendung

Der Monsterprozess gegen die 13 angeklagten Tierschützer begann in Wiener Neustadt am 2. März 2010. Lange sah es auch hier nach einer Verurteilung aus, bis ein Knalleffekt dem Fall eine unerwartete Wendung gab: Plötzlich wurde bekannt, dass die Polizei über einen Zeitraum von 16 Monaten hinweg eine nicht genehmigte verdeckte Ermittlerin in eine der beschuldigten Tierschutzorganisationen eingeschleust hatte. Der Inhalt der Protokolle dieser Ermittlerin wurde allerdings verschwiegen und nicht als Beweismittel im Verfahren eingesetzt. Der Grund dafür lag auf der Hand: In den Aufzeichnungen der verdeckten Ermittlerin fanden sich keinerlei Hinweise auf jene Aktivitäten, mit denen die Angeklagten im §278a in Verbindung gebracht werden sollten. Später wurde die verdeckte Ermittlerin in den Zeugenstand gerufen und entlastete mit ihren Aussagen die Angeklagten. Am 2. Mai 2011 schließlich wurden alle Angeklagten in allen Punkten freigesprochen. In der Urteilsbegründung der zuständigen Richterin wurde auch Kritik an den polizeilichen Vorgehensweisen und Methoden laut. Bis zum schriftlichen Urteilsspruch, der für Anfang 2012 erwartet wird, und der Prüfung durch den Staatsanwaltschaft sind die Freisprüche allerdings nicht rechtskräftig. Im dritten Teil des Buches wird der Ablauf des Prozesses in einer „Dokumentation“ beleuchtet.

Ohne Unterstützung keine Freiheit

„§278a - Gemeint sind wir alle!“ von Birgit Pack und Christof Mackinger ist keine plumpe Abrechnung, sondern der engagierte Versuch, die Hintergründe und Motivationen der Anklage aufzuzeigen und diese einerseits mit umstrittenen Prozessen der jüngeren österreichischen Geschichte zu verknüpfen und andererseits in einen internationalen Kontext zu stellen. Birgit Pack verweist bei der Lesung in der ARGEkultur auch auf die Rolle der Medien, die durch ihre großteils kritische Berichterstattung ebenfalls zum für die Angeklagten vorläufig positiven Prozessende beigetragen hätten. Auf die Publikumsfrage, ob man an ihnen ein Exempel statuiert hätte, entgegnet Christof Mackinger, dass er das nicht so sehe, weil die staatliche Willkür beim Prozess gegen die Tierbefreiungsbewegung an ihre Grenzen gestoßen sei. Doch das wäre nur möglich, wenn man intern sowie in der Öffentlichkeit eine breite Unterstützung genieße. Anders stelle sich das zum Beispiel für beschuldigte Personen dar, die allein wären oder deren Hautfarbe nicht weiß sei: „Schaut, dass ihr jemandem helft, der Probleme hat. Es macht einen Riesenunterschied, ob man allein ist oder jemand hinter dir steht.“

© Robert Innerhofer, Salzburger Nachrichten

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