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Kritik • 09.02.2009 • Gottfried Franz Kasparek, DrehPunktKultur

Die Weltverschwörung der Bücher

Jochen Malmsheimer, eine kantige Persönlichkeit mit kauziger Mimik, steht einen Abend meist standfest lang vor dem Mikrophon, erzählt und liest. Und das genügt. - Am Freitag (6.2.) zu Gast beim MotzArt-Festival.

Da ist ein begnadeter Sprachspieler am Werk, einer, der die Worte abklopft und ihnen nachsinnt, denn "verschieden" zum Beispiel bedeutet nicht nur einen Unterschied, sondern auch "von uns gegangen". Manchmal greift er weit zurück in den Fundus, etwa wenn des Mannes beginnender Abschied von der Jugend sich in souverän beherrschten Goethe'schen Jamben äußert und wenn "itzo" das Alter "kömmt". Er hat aber auch keine Scheu vor Arschgeigen und ähnlich deftigen Äußerungen, wenn es gerade passt. Nichts davon wirkt aufgesetzt. Die zwischen kraftvoller hoher Tonlage und leise brummender Besinnlichkeit perfekt ausgewogene, westfälisch grundierte, deklamatorisch vorbildliche baritonale Suada wirkt wie eine große Sprachkomposition und die Pointen sitzen niet- und nagelfest.

Der gebürtige Essener Jahrgang 1961, klassischer Studienabbrecher, Buchhändler, Salzburger Stier-Preisträger 1998, hat zuletzt den Deutschen Kleinkunstpreis erhalten. In Salzburg gastierte er mit seinem Programm "Flieg Fisch, lies und gesunde ..." oder "Glück, wo ist dein Stachel".

Jochen Malmsheimers Kabarett ist ein zutiefst literarisches, wie schon der Titel verrät, auch wenn ihm der Begriff "episches Kabarett" lieber ist. Dabei ist die Sache nie abgehoben, sondern hebt nur ständig in die Gefilde höheren Witzes ab. Unvergesslich, wenn am Bahnhof eines niedersächsischen Kaffs die Alufolie über dem gedeckten Apfelkuchen vom Winde bewegt das Antlitz einer älteren Dame konturiert, damit ist nämlich endlich die Technik altägyptischer Totenmasken bewiesen! Malmsheimer schürft den Verirrungen der Zeit nach, denn früher war zwar nichts besser, aber vieles war gut, wie das alte Radio, dem die Menschen noch wirklich zugehört haben. Oder das Graubrot mit Butter und Zervelat (so heißt die westfälische Salami exakt), zu dem Mayonnaise und grüne Blätter einfach nicht passen wollen. Politische Anspielungen sind Malmsheimers Sache selten, aber hinterrücks schleicht sich oft scharfe Zeitkritik in den Redefluss hinein und die alten und neuen Nazis kriegen auch ihr Fett ab, dass es klatscht.

Herrlich dann das große Finale nach der Pause, die "Weltverschwörung der Bücher". In Malmsheimers glaubwürdig großer Bibliothek erwachen die Bücher nächtens zum Leben, schubsen Thomas Mann und Alfred Döblin einander giftig aus dem Regal, führt Goethe seine hehren Selbstgespräche, keift Bornemanns Sexuallexikon vulgär herum, schwäbelt lyrisch der alte Hesse und so weiter, angeführt von Meyers Lexikon. Die Bücher kämpfen heldenhaft gegen ihre Gefährdung durch die mediale Flut. Wer hätte gedacht, dass der Spammüll listig von Büchern ins Internet geschubst wird? Malmsheimer liebt bei aller feinen Ironie seine streitenden Bücher, denn sie verlangen Konzentration. Man kann nicht gleichzeitig ein Buch lesen und Rasen mähen, wie es mit dem I-Pod möglich ist ... Mit einem kleinen, bizarren, ein wenig von Ringelnatz inspirierten Gedicht über die Liebe, das Glück und ein Fischlein, in dem sich natürlich Rochen auf Jochen reimt, endet der wahrlich furiose Abend.

© Gottfried Franz Kasparek, DrehPunktKultur

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