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ATMEN von Duncan Macmillan am 20.9.2025 um 20:00 Uhr
Bild © iStock
Premiere

ATMEN von Duncan Macmillan

Inszenierung: Helena May Heber

Theater Eine Koveranstaltung mit theater.direkt

Sollte man – angesichts globaler Erderwärmung, geopolitischer Dauerkrisen und der permanenten Überforderung durch eine fragile Gegenwart – wirklich ein Kind in diese Welt setzen?
Ein junges Paar ringt mit dieser Entscheidung. Beide verstehen sich als reflektierte, ökobewusste Menschen – auch wenn sie in Fragen der Selbstoptimierung und Selbstinszenierung kaum unterschiedlicher sein könnten. Doch was, wenn ihr gemeinsames Kind später genau die Antworten fände, nach denen sie heute noch suchen?

In einer emotionalen Achterbahnfahrt voller Zeitsprünge und Widersprüche verwebt der britische Dramatiker Duncan Macmillan das Politische mit dem Privaten – tragisch, komisch, rasant. ATMEN stellt die ganz großen Fragen in einem ganz kleinen Raum – und gibt der Komplexität unserer Zeit eine eindringliche, theatrale Form.

Nach seiner Uraufführung 2011 in den USA ist ATMEN nun erstmals in Salzburg zu sehen – als Fortsetzung der Reihe britischer Gegenwartsdramatik von theater.direkt.

Hinweis: In diesem Stück wird eine Fehlgeburt thematisiert.

 

  • Schauspiel Magdalena Oettl, Raphael Steiner
  • Inszenierung Helena May Heber
  • Regieassistenz Laura Wurzer
  • Raum / Kostüme Arthur Zgubic
  • Dramaturgie / Produktionsleitung Michael Kolnberger
  • Technik Gunther Seiser
  • Fotografie / Toneinspielungen Piet Six
  • Aufführungsrechte Rowohlt Theater Verlag
  • Deutsche Übersetzung Corinna Brocher
  • Dauer 85 Minuten (ohne Pause)

 

Duncan Macmillan
Foto © Natasha Krstic-Howe

Duncan Macmillan – Ein Porträt

Duncan Macmillan wurde 1980 in England geboren. Er studierte Film und Szenisches Schreiben und war als Writer in Residence am legendären Royal Court Theatre in Chelsea am Sloane Square tätig. Dieses Theater, das 1969 seine 'Downstairs-Stage' eröffnete, wurde zu einem Vorbild für viele Studiobühnen im deutschsprachigen Raum und prägte die junge Dramatiker*innen-Generation.

Neben seiner Arbeit am Royal Court Theatre war Macmillan auch für die BBC tätig und übernahm Regiearbeiten in London und New York. Vor seiner Karriere als Dramatiker war er DJ, wobei seine erste Leidenschaft der Musik galt. Die zweite Liebe, das Schreiben, führte ihn schließlich zur Theaterbühne.

Duncan Macmillan lebt in London.

 

Macmillans dramatisches Debüt gab er 2005 mit THE MOST HUMAN WAY TO KILL A LOBSTER. Es folgten MONSTER (2007) am Royal Exchange Theatre in Manchester und der interaktive Monolog EVERY BRILLANT THING (2013), den er in Zusammenarbeit mit dem irischen Dramatiker Jonny Donahoe schrieb. Für dieses Werk erhielt er den renommierten Best New Play Award. EVERY BRILLANT THING brachte Macmillan den internationalen Durchbruch, da das Stück in viele Sprachen übersetzt wurde und sogar in Südkorea gespielt wurde.

2017 veröffentlichte Macmillan eine Adaption von George Orwells 1984, die in den USA auf Tour ging. Zudem schrieb er das Stück PEOPLE, PLACES AND THINGS, ein zwischen Wahrheit und Fiktion taumelnder Text um eine bipolare Schauspielerin, der mit dem britischen Oliver Award ausgezeichnet wurde.

Die Uraufführung von LUNGS (dt. ATMEN) fand bereits 2011 in Washington D.C. statt. Die österreichische Erstaufführung war 2015 am Schauspielhaus Graz, und die Schweizer Erstaufführung wird am 21. September 2025 in St. Gallen erwartet.

Duncan Macmillan beschäftigt sich in seinen Werken häufig mit gesellschaftsrelevanten Themen und bedient sich dabei unkonventioneller dramatischer Formen. Ein markantes Stilmerkmal ist sein spielerischer Umgang mit dem Faktor 'Zeit', der in verschachtelten, überlappenden Dialogen zum Ausdruck kommt.

Als literarische Vorbilder nennt Macmillan unter anderem Bertolt Brecht, Samuel Beckett, Martin Crimp und besonders Caryl Churchill. Churchill, die erste Theaterhausautorin des Royal Court Theatre und eine prägende Figur des britischen Theaters, beeinflusste Macmillan stark. Sie veröffentlichte bewusst a-realistische und feministische Texte, die einen Kontrast zu den populären 'Well-Made-Play'-Formen amerikanischer und britischer Autoren darstellten. Churchill ermutigte die nächste Generation von Dramatiker*innen, im Nachhall der 1977er Punkbewegung gegen den erzkonservativen Neoliberalismus von Margaret Thatcher anzuschreiben – eine Haltung, die auch Dramatiker*innen wie Sarah Kane und Marc Ravenhill prägte, die als Vertreter*innen der 'New Young Angry Poets' bekannt wurden.

Obwohl Macmillans Werke in ihrer Struktur nicht als experimentell oder postdramatisch bezeichnet werden können, zeichnen sie sich durch eine klare Ablehnung traditioneller Formen aus. Die Themen seiner Stücke, die oft von tief menschlichen, existenziellen Fragen handeln, erscheinen dabei stets gegenwärtig und aktuell.

ATMEN (LUNGS)

Text: Michael Kolnberger

Unser Planet scheint früher als angenommen nicht ausschließlich ökologisch zu entgleisen: das Ringen um demokratische Restgrundwerte in beispiellos erstarkten autokratisch-neofaschistischen Gesellschaften rund um den Globus, die von Oligarchen – oder eigentlich noch obszöner: von durchgeknallten Tech-Milliardären – dominiert werden, die Trump zur Wiederwahl verhalfen, der nicht nur Klimawandelleugner ist, sondern auch rassistisch gegen Minderheiten twittert, Menschen deportiert und Kultur- sowie Geisteswissenschaften zu Staatsfeinden erklärt hat.

Ein junges Paar der Gen Z mit Babywunsch, gefangen im Selbstoptimierungs- und Selbstinszenierungslabyrinth der 'social media apps', zweifelt berechtigterweise, ob das alles im Angesicht des Weltbrandes zwischen Dekarbonisierungsanstrengungen und illusionslosen Pariser Klimazielen von 1,5 Grad Erderwärmungslimit überhaupt noch zu verantworten wäre.

Ließe sich dieser Wandel nicht als Synonym für einen nie dagewesenen Paradigmenwechsel aller gesellschaftsrelevanten Bereiche lesen? Angefangen bei ihren persönlichen Sollbruchstellen bis hin zur unaufhaltsamen KI-generierten digitalen Transformation, die das bisherige Leben der Menschheit massiv verändern wird – und die daher unbedingt sozial, human, ökologisch und demokratisch gestaltet werden muss, um diese Metamorphose in eine Lebenszuversicht zu verwandeln, an der alle partizipieren können, und nicht in eine Diktatur der Profiteure mündet, wie es beim gegenwärtigen Gesellschaftszustand leider zu befürchten ist.

In Macmillans pointierten Dialogen, die er als 30jähriger rasant zu Papier brachte und nachts seiner Lebensgefährtin vorlas, war das Hin und Her ihres eigenen Kinderwunsches das intuitiv auslösende Schreibmotiv – und nicht vordergründig das ökologisch-politische Rahmenthema, das jedoch zwangsläufig mehr und mehr in den Fokus der mittlerweile zahlreichen Inszenierungen rückte.
Seine beiden Protagonist*innen, kurz mit 'F' und 'M' kollektiviert, sollen uns in durchaus alltagsvertrauter Konversation über ihre Beziehungsfragen genau jene Widersprüche und Klischees entlarven, die unsere angeblich so ökologisch bewusste, nachhaltige, westliche Gesellschaft für sich in Anspruch nimmt.

Magdalena Oettl und Raphael Steiner in ATMEN

Die Welt ist im Arsch, aber sind wir es auch?

Vom Babywunsch bis zum vermeintlichen Sinn des Lebens, von Bruchlinien in ihrer Paarbeziehung, von Fehlgeburt, Trennung, Dreiecksbeziehungen und tränenreicher Versöhnung, von den ganz großen Wünschen und Sehnsüchten bis hin zu abgrundtiefen Existenzängsten und unterbewussten Träumen: der Text nimmt uns mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt, die Privates mit Gesellschaftspolitischem unlösbar und schicksalhaft verbindet – und ihn mit schwarz-britischem Humor obendrein lust- und geistreich garniert.

Duncan Macmillan schlägt einen ganzen humanistischen Wertekatalog in immer schnellerem Zeitraffer auf, als wäre dies der Indikator der Erderwärmung. Dennoch verliert er nie die Hoffnung auf ein gerechtes, glückliches und finales Miteinander in seiner 'Bioliebesgeschichte', die der komplexen und zunehmend undurchsichtigen Wirklichkeit zu widerstehen versucht. Wie wir unser Gutmenschsein in diesen zugespitzten Kontexten vielleicht doch noch bewahren könnten, ist ein Grundanliegen dieser Theaterarbeit.
Der Text ermutigt uns jedenfalls zum empathischen Diskurs – also genau über jene sensiblen Themen, über die wir zunehmend verlernt haben, offenherzig zu sprechen, zumal wir von ökologischen und ökonomischen Krisenszenarien im digitalen Zeitalter immer bedrohlicher eingerahmt werden.

ATMEN setzt die mit PENETRATOR von Anthony Neilson 2013 begonnene Auseinandersetzung des theater.direkt mit zeitgenössischer britischer Dramatik als Salzburger Erstaufführung fort.