Der folgende Aufsatz zum Thema Künstliche Intelligenz an der ARGEkultur
von Sebastian Linz ist im Sammelband FOKUS KI des Bundesministerium für für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKÖS) erschienen. Der gesamte Band kann unter diesem Link heruntergeladen oder als Printausgabe bestellt werden.
Künstliche Intelligenz in Theater, Tanz und Performance
Ein Werkstattbesuch in der ARGEkultur Salzburg von Sebastian Linz
1.
Ersetzt Künstliche Intelligenz die Kunst? Kann KI überhaupt Kunst erschaffen? Wie kann KI in der Kunstproduktion und Kulturarbeit eingesetzt werden? Wie verändert dieser Einsatz das Wesen der Kunst, der Kunstproduktion und der Kulturarbeit? Wie ändern sich dadurch die kulturpolitischen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen? – Fragen, die spätestens seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 intensiv diskutiert werden.
Allerdings fällt auf, dass der Fokus der Diskussionen bislang vor allem auf den Bereichen Bildende Kunst, Literatur, Musik und Film liegt – auf Kunstgattungen also, deren Werke in der einen oder anderen Weise technisch reproduzierbar sind und die durch von KI produziertem Content ersetzbar erscheinen. Die Performing Arts Theater, Tanz und Performance mit ihrem Fokus auf Raumzeitlichkeit und den menschlichen Körper hingegen sind in dieser Diskussion allerdings oft noch eine Leerstelle.
Dabei wird KI im Theater – welches als synästhetische Kunst ja seit jeher sämtliche Technologien ästhetisch inkorporiert hat – durchaus eingesetzt. Ob in forschenden Einrichtungen wie der ‚Akademie für Theater und Digitalität’ in Dortmund, in Digitalsparten von Theatern wie dem XRT (Extended-Reality-Theatre) des Staatstheaters Nürnberg oder innerhalb von Netzwerken wie dem ‚Theaternetzwerk Digital’. Und so macht das Thema auch nicht vor der freien Szene halt – und damit auch nicht vor einer ursprünglich überwiegend analog konnotierten Kultureinrichtung wie der ARGEkultur.
2.
Die ARGEkultur ist das größte unabhängige Kulturzentrum in Salzburg. Sie ist als Veranstalterin und Produzentin von freier, zeitgenössischer Kultur ebenso Ort für experimentelle Kunstprojekte wie für Alltags- und Popkultur. Jährlich finden bis zu 350 Veranstaltungen mit insgesamt rund 40.000 Besucher*innen statt. Darüber hinaus ist die ARGEkultur Arbeitsplatz und Treffpunkt für zahlreiche Salzburger*innen – für temporäre Nutzer*innen (z.B. durch Workshops, Kurse, Seminaren oder Proben) ebenso wie für ein gutes Dutzend permanenter Initiativen und Gruppen z.B. aus dem Bildungs-, Medien-, dem zivilgesellschaftlichen wie dem künstlerischen Bereich.
Die Beschäftigung mit Künstlicher Intelligenz ist eingebettet in einen umfassenden Prozess, der die digitale Transformation der gesamten ARGEkultur zum Ziel hat und den wir seit 2021 schritt- und projektweise umsetzen. Neben vielen Maßnahmen, die das Haus, die Technik und die Tätigkeitsfelder der Mitarbeiter*innen betreffen, zeigt sich diese Transformation am deutlichsten im Programm selbst. Voraussetzung unseres Tuns sind dabei stets drei Grundsätze:
Erstens unser Selbstverständnis. Als gemeinnützige Kultureinrichtung verortet sich die ARGEkultur inmitten der (Stadt-)Gesellschaft. Sie ist Ort des dialogischen Miteinanders wie der kritischen Auseinandersetzung. Dieses Bekenntnis zur kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Gesellschaft schließt ein Bekenntnis zum Digitalen mit ein. Denn in dem Maße wie die Gesellschaft durch digitale Technologien durchwirkt ist und eine Kultur der Digitalität (Felix Stalder) hevorgebracht hat, ist eine Beschäftigung der Kunst mit Gesellschaft ohne den Aspekt des Digitalen kaum mehr denkbar.
Davon abgeleitet haben wir an der ARGEkultur – zweitens – das Verständnis entwickelt, dass das Analoge nicht vom Digitalen zu trennen ist. Beide Bereiche bringen Realität hervor und sind derart miteinander verschränkt, dass sie sich nicht voneinander lösen lassen. Das mag wie eine Binsenweisheit klingen, ist aber für eine Kultureinrichtung, deren ökonomisches Kerngeschäft die sogenannte Live Art ist, kein kleiner Schritt. Noch vor gut drei Jahren haben sich viele Kultureinrichtungen in eine vergangene Normalität zurückgesehnt, haben den Wert des (vermeintlich) ‚echten’, ‚authentischen’ Live-Erlebnisses beschworen, demgegenüber z.B. der digitale Live-Stream oder die soziale Interaktion im Internet nur der unechte Fake sein könne. Von so einer essentialistischen Sichtweise haben wir uns längst gelöst.
Drittens folgen alle unsere Bemühungen im Feld des Digitalen dem Grundsatz, die Kunst über die Technik zu stellen. Digitale Technologien sollen utilitarisiert werden für die Kunst, sie sollen der ästhetischen wie inhaltlichen künstlerischen Auseinandersetzung dienen. Und nicht umgekehrt. Eine Konsequenz davon ist u.a., dass wir – wenn möglich und mit Fokus auf Transparenz und Datensicherheit – eher mit Open-Source-Technologien mit lokalen Speichermöglichkeiten arbeiten anstatt proprietäre Software und Webdienste zu benutzen.
3.
Was schon vor Jahren mit der stärkeren Implementierung von Medienkunst ins Programm (v.a. mit dem biennalen Festival DIGITAL SPRING) begonnen hat, während der Pandemie mit dem Ausbau und der Professionalisierung des Live-Streamings einherging und 2022 zur Gründung einer digitalen Spielstätte auf Basis der Social-VR-Software Mozilla Hubs, dem Digitalen Foyer, geführt hat, hat über die vergangenen Jahre nun das Programm in beinahe allen Sparten erreicht. Vor allem im Bereich Theater, Tanz und Performance hat sich ein Fokus auf Projekte ergeben, die eine Schnittstelle zu Medienkunst und digitalen Technologien haben und damit seit geraumer Zeit vermehrt mit Künstlicher Intelligenz arbeiten.
Als Beispiele sind im Folgenden ein paar Theaterprojekte skizziert, die im kommenden Jahr von der ARGEkultur koproduziert werden, und dort ihre Premieren feiern werden ...
Die Performance B:R:HR:NG von Ursula Schwarz (Dezember 2024) erkundet – aufbauend auf der rein digitalen Arbeit BRHRNG, die Schwarz 2022 für das Digitale Foyer realisiert hat – die Beziehungen und Interaktionen zwischen den Körpern zweier Tänzerinnen. Wobei einer der Körper physisch anwesend ist, der andere aber mittels holographischer Projektion auf der Bühne erscheint. Der Medienkünstler Felix Ludwig hat dazu mit KI-Anwendungen experimentiert (Brekel Body v3, Deep Motion, Open Pose und vor allem Mediapipe), damit den schon im Vorgängerprojekt benutzten teuren Motion-Capturing-Anzug kostengünstig ersetzt und das Motion Capturing u.a. mit Echtzeit-Bildgenerierung kombiniert (mittels Stream Diffusion, einer Version von Stable Diffusion). Ein Verfahren, das er u.a. auch bei der Entwicklung der digitalen Arbeit MOOPA – einer VR-Retrospektive der finnischen Performance-Gruppe Oblivia, welche die ARGEkultur 2025 produziert – anwendet.
Das Projekt MENGELE ZOO von Jenny Szabo und Fabian Schober ist von dem gleichnamigen Roman des norwegischen Schriftstellers Gert Nygårdshaug inspiriert und untersucht das Spannungsfeld von Klimaschutz, Emotion und Gewalt. Dabei entsteht zunächst eine immersive Videoinstallation (März 2025) auf der Basis der Game-Engine ‚Unreal Engine’, in der die Teilnehmer*innen das Geschehen auf einer Videoleindwand durch sprachliche Interaktion beeinflussen können. In einem zweiten Arbeitsschritt wird dann aus der Installation eine Physical-Theatre-Performance (Dezember 2025). In beiden Fällen speist sich die künstlerische Arbeit aus der Analyse von Daten mittels KI-unterstützter datenwissenschaftlicher Methoden. So haben Szabo und Schober ihr Recherche-Material u.a. einer umfangreichen Sentiment-Analyse (automatisierte Auswertung von Texten mit dem Ziel, deren subjektive Stimmungen und Haltungen zu bestimmen) mit Chat-GPT-4 API unterzogen und verwenden für den Prototyp der Installation das Open-Source-Tool Ollama.
Lajos Talamonti verhandelt im Theater-Spiel LOVE WORK MACHINE (November 2024) das Verhältnis von Künstlicher Intelligenz und Arbeit. Koproduziert von der Arbeiterkammer Salzburg begann die Arbeit an LOVE WORK MACHINE im Juni 2024 im Rahmen von Workshops mit Lehrlingen und Schüler*innen der Sekundarstufe II und wurde durch Try-Outs im September 2024 im Rahmen des Festivals SCIENCE MEETS FICTION fortgesetzt. Die Arbeit adaptiert die 90er-Jahre-Gameshow Herzblatt – KI-Kandidat*innen treten dabei inkognito gegen menschliche Kandidat*innen an. Die Avatare, die der Coder Georg Werner dafür erschafft und die im Spiel die verschiedenen Kandidat*innen repräsentieren, entstehen dabei gleichermaßen mit Tools zur Bildgenerierung (z.B. Stable Diffusion), auf Textebene mit verschiedenen LLMs (Large Language Models) und auf der Tonebene mit einer auditiven Ausgabe per TTS (Text-to-Speech).
Das Theaterprojekt ICH HASSE MENSCHEN (November 2025) von Lena Rucker, Yvonne Schäfer und Nils Corte nimmt – wie vorher schon die Online-Performance COMMUNE AI von Interrobang, welche die ARGEkultur (u.a. mit dem HAU in Berlin) koproduziert hat – auf humorvolle Weise das Zusammenleben von Menschen und KI in einer Wohngemeinschaft in den Blick. Auf der Bühne interagieren dabei menschliche und nicht-menschliche Darsteller*innen. Neben dem W-LAN-Router Conny ist dies v.a. der Staubsaugerroboter Volker, für den KI mit Robotik kombiniert wird. Dazu hat das künstlerische Team einen handelsüblichen Staubsaugerroboter mit Infrarot-, Audio- und Videosensoren, einem LiDAR-Scanner (zum Messen von Entfernungen) und einer Tiefenkamera ausgestattet. Auf einem Mini-Computer (Raspberry Pi 4) läuft das Operating-System des Roboters, der mit den Informationen aus den Sensoren gefüttert und über den die Steuerungselektronik adressiert wird – der Roboter erkennt also seine Umgebung (das Bühnenbild) und kann sich autonom in ihr bewegen. Künstliche Intelligenz kommt dann bei der Interaktion und der Kommunikation mit den Mitspieler*innen ins Spiel. Eine eigens entwickelte Software erkennt, wenn sich eine Person nähert – und tritt mit dieser mittels eines LLM und einem Sprachsynthese-Tool, das aus der KI-Texten eine menschliche Sprechstimme generiert, in Dialog.
Seine ersten Geh- und Sprechversuche hat Volker schon 2024 im Rahmen der Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft im ‚Theater am Werk’ in Wien sowie beim DIGITAL SPRING an der ARGEkultur gemacht – um schon frühzeitig Praxis-Erfahrung zu sammeln und um mit verschiedenen KI-Tools experimentieren zu können. Das Stück ICH HASSE MENSCHEN, bei dem Volker dann erstmals innerhalb eines inszenierten Rahmens agiert, folgt dann 2025 in Koproduktion mit einem deutschen Stadttheater.
4.
Dass alle diese Projekte, die hier nur beispielhaft genannt sind (es gibt noch einige andere), an der ARGEkultur stattfinden, ist kein Zufall. Zum einen liegt dies am mehrspartigen Portfolio des Hauses, welches transdisziplinäres Arbeiten begünstigt. Zum anderen an strategischem Community-Building: Auf viele der Künstler*innen sind wir proaktiv zugegangen, haben sie eingeladen, am Residency-Programm MEDIA ART LAB im Rahmen des DIGITAL SPRING 2022 und 2024 teilzunehmen, und sie miteinander vernetzt. Dadurch ist eine Gruppe regionaler und überregionaler Künstler*innen aus den Bereichen Theater, Tanz und Performance, Medienkunst, Digital Art und Creative Coding entstanden, innerhalb derer immer wieder Wissen und Ressourcen geteilt werden. Die jeweiligen Projekte profitieren damit von der Arbeit und Erfahrung aller.
Allen Projekten ist zudem gemein, dass Künstliche Intelligenz integraler Bestandteil der künstlerischen Konzeption ist – ohne KI wären sie nicht denkbar. Die Künstler*innen haben Lust auf und ernsthaftes Interesse an der Auseinandersetzung mit der Technologie – sowohl als künstlerisches Tool wie auch an der Untersuchung ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen. Dass solche transdisziplinären, inmitten von Kunst, Technologie und Wissenschaft verorteten Projekte oftmals aufwändiger und kostenintensiver sind (obwohl der Einsatz von KI in manchen Fällen eine Realisierung mit den vorhandenen Fördermitteln erst möglich gemacht hat) und längere Vorlaufzeiten brauchen, sollte aber nicht unerwähnt bleiben. Ein flexibleres Fördermodell auf Ebene aller Gebietskörperschaften, das z.B. Ressortübergreifende Förderungen ermöglicht oder eine engere Schnittstelle mit Universitäten oder der lokalen Kreativwirtschaft und Tech-Branche aufweist, wäre hier beispielsweise hilfreich.
Und noch etwas eint die Projekte: Sie finden allesamt in analogen Bühnenräumen (nicht online) und mit physisch anwesendem Publikum statt. Vielleicht liegt darin ein besonderer Reiz im Hinblick auf Künstliche Intelligenz und – mehr als in anderen Künsten – eine Chance auf eine Art reflexive Schnittstelle: die künstlerische Untersuchung von KI aus der Perspektive der ephemeren Kunstform der Bühne. Wo physische Körper in analogen Räumen, im Hier und Jetzt, auf KI treffen, stellt sich die bis auf Weiteres irrige Frage nach der drohenden Abschaffung oder Substitution von Kunst durch Künstliche Intelligenz erst gar nicht. Im Zentrum steht das neugierige wie kritische Zusammen- und Wechselspiel und die neuen Formen und Fragestellungen, die sich daraus für das Leben und die Arbeit mit KI ergeben.
Sebastian Linz (geb. 1980) studierte Theaterwissenschaft in München. Er ist Absolvent der Weiterbildung ‚Theater- und Musikmanagement’ an der LMU München und des ULG ‚Kuratieren in den Szenischen Künsten’ an der Universität Salzburg. Berufliche Tätigkeiten u.a. in den Bereichen Regie, Dramaturgie, Produktion, Vermittlung und Lehre. Stationen u.a. an den Münchner Kammerspielen, dem Bayerischen Staatsschauspiel, den Salzburger Festspielen, den Festivals SPIELART, DANCE, der Münchner Biennale und der Bayerischen Theaterakademie. Seit 2018 ist Sebastian Linz Künstlerischer Geschäftsführer der ARGEkultur in Salzburg.