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Presse • 11.04.2006 • Tobias Pötzelsberger, FM4

ER-Lösung?

Schon wieder Kunst-Streit in Salzburg: Karfreitagsprozession der ARGEkultur nach Drohungen abgesagt.

Ein Skandal!
Schön langsam wird's mir unheimlich, aber: Salzburg hat seinen nächsten Kunstskandal.

Besser gesagt: hatte.

Denn die geplante Prozession "ER-Lösung?" der ARGEkultur, die am Karfreitag von der Salzburger Innenstadt bis zur ARGEkultur hätte führen sollen, wurde heute, Dienstag, abgesagt.
Grund dafür sind massive Drohungen gegen den künstlerischen Leiter der ARGEkultur Marcus Hank sowie die polnische Künstlerin Dorota Nieznalska.

Hank dazu in einer Pressekonferenz:

"Seit Tagen erhält die ARGEkultur Drohungen in Form von Mails und Anrufen, die die "Kreuzigung" der DarstellerInnen fordern und wo ganz offen mit "physischer Gewalt" gedroht wird, wenn die "Polaken-Sau" nach Salzburg kommt."

In einem Internetforum sei sogar gefordert worden, Hank "ans Kreuz zu schlagen" und ihn am Residenzplatz "aufzustellen".

Nicht aus Angst vor öffentlicher Kritik, sondern aus Angst um die Sicherheit der TeilnehmerInnen und Zuschauer wurde die Aktion abgesagt.

Aber der Reihe nach ...

Was war geplant?

Die Prozession sollte ein bewegtes choreographisches Szenendrama von der Altstadt zur ARGEkultur sein. Ein "Opfer" mit Holzkreuz und ein "Heilsprediger" sollten voran schreiten, begleitet von TänzerInnen und DJs.

Die Rolle des "Opfers" hätte von einer Frau, eben Dorota Nieznalska dargestellt werden sollen. Die Aktion war behördlich genehmigt und mit der Kirche abgesprochen. Nieznalska wäre übrigens nicht (wie später behauptet) nackt ans Kreuz gefesselt und durch die Stadt getragen worden.

Marcus Hank wollte damit eine öffentliche Diskussion um den Opferbegriff, Opferbereitschaft, Leidensfähigkeit und Verzichtsideologie in einer säkularisierten Gesellschaft einleiten - eine durchaus interessante Diskussion, die auch unter Theologen immer wieder geführt wird.

Volkes Zorn wurde durch das Plakat erregt, mit dem die Aktion beworben wurde.

Blasphemie!

Das Plakat allein wirft interessante Fragen auf: Was, wenn Jesus eine Frau gewesen wäre? Und: Sind nicht Frauen viel mehr Opfer als Männer?

Ungeachtet dessen entstanden in Salzburg schnell die wildesten Gerüchte: Eine nackte Frau am Kreuz soll durch Salzburg getragen werden! Und das zu Ostern! Blasphemie!

Nun ist derartige Kritik bei öffentlichen Kunstprojekten vorprogrammiert - und wurde von der ARGEkultur auch erwartet.
Erstaunlich ist aber die Intensität des öffentlichen Aufruhrs.

In Internetforen häuften sich die Postings: Der ARGEkultur gehe es nur um die Provokation der Gläubigen und Selbstdarstellung in den Medien, hieß es da, und außerdem: Was hat das mit Kunst zu tun?
Die ÖVP-Politikern Claudia Schmidt drohte den Künstlern mit einer Anzeige, Bürgermeister Heinz Schaden (SPÖ) dachte laut darüber nach, dass die Aktion Auswirkungen auf die Subventionsgelder für die ARGE haben könnte. Der Salzburger Erzbischof Alois Kothgasser wandte sich per Bibelzitat gegen die Aktion:

"Täuscht euch nicht: Gott lässt keinen Spott mit sich treiben; was der Mensch sät, wird er ernten (Gal 6,7)."

Freilich stürzten sich auch die Medien auf die Sache. Die "Kronen Zeitung" machte tagelang in gewohnter Manier Stimmung gegen das Projekt und vor allem gegen Dorota Nieznalska.
Ein Salzburger Polizist erstattete sogar Anzeige gegen Marcus Hank und begann selbst mit Ermittlungsarbeiten.

Angesichts der Drohungen gegen die Künstler (die teilweise übrigens nicht anonym, sondern inklusive Namen und Adresse abgegeben wurden) beschloss die ARGEkultur schließlich, die Prozession am Karfreitag nicht durchzuführen. Hank behält sich vor, die Aktion zu einem anderen Zeitpunkt durchzuführen: "Das Projekt ist damit nicht gestorben."

Keine Gewinner

Die Kritiker fühlen sich bestätigt: "Sieg der Vernunft", betitelte der ÖVP-Klub eine neuerliche Presseaussendung.
Die ARGEkultur wiederum wirft "Kronen Zeitung", ÖVP und der Erzdiözese "moderne Inquisition" vor. Die einen sprechen von "Religionsbeleidigung", die anderen von "Zensur der Kunst".

Erstaunlich ist dabei nicht, dass es öffentliche Proteste gab: Die ARGEkultur hat sich mit dem Plakat und der Aktion weit aus dem Fenster gelehnt.

Äußerst befremdlich ist aber die Art, wie gegen die Prozession vorgegangen wurde. In der Diskussion darüber, was Kunst darf und was nicht, ist boulevardistisches Rauschen im Blätterwald oder gar die Androhung körperlicher Gewalt abzulehnen. Hier hilft nur eine sachliche Diskussion, in der fundierte Argumente vorgebracht werden - nicht aber eine unreflektierte Kampagne, die aus kolportierten Halbwahrheiten besteht.

Aber das ist angesichts der Geschehnisse wohl ein hehrer Wunsch.

Ankündigung

Eine gemeinsam mit der Prozession geplante Diskussion zum Thema "Das Kreuz in der Kunst" findet heute, Dienstag, um 19 Uhr in der Katholischen Hochschulgemeinde statt. Anwesend sind Wissenschafter und Vertreter der ARGEkultur. Eintritt frei.

Reaktionen auf „ER-Lösung“ in den Medien

© Tobias Pötzelsberger, FM4

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