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Kritik • 06.07.2009 • Gottfried Franz Kasparek, DrehPunktKultur

Die vielen Arten, ja zu sagen

Bei der Sommerszene fand am Sonntag, 5. Juli in der ARGE die Österreichpremiere eines neuen Stücks statt: "in pieces" vom Fumiyo Ikeda und Tim Etchells. Schon lange nicht so viel und so herzhaft gelacht bei modernem Tanztheater!

Tanztheater? Fumiyo Ikeda beherrscht die bis auf eine abschließende Holzwand und einen Sessel leere Bühne natürlich auch mit fulminantem Ausdruckstanz, kommt sie doch aus der Tanzkompanie Rosas. Was sie und der britische Autor Tim Etchells allerdings produziert haben, ist ein kleines feines Gesamtkunstwerk für eine Darstellerin, die nicht nur Tänzerin, sondern auch Schauspielerin, Pantomimin und Sprecherin ist. Inspiriert ist die Performance von Briefen Franz Kafkas: "Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir es dann? ( ...) Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns."

Wer sich da jetzt düstere Atmosphäre erwartet, liegt falsch. Freilich, am Beginn wird das 1. Streichquartett von György Ligeti mit größter Einfühlungskraft und staunenswerter Musikalität in gestischen Tanz übersetzt, wird aus hoch emotionalen Klängen dunkle Poesie und stilisierte Körperlichkeit gewonnen. Diese "Prozesse des Erinnerns und Vergessens" münden aber in eine pfiffige Slapstick-Szene. Fumiyo Ikeda, die eine gute Stunde lang gerne von eins bis hundert zählt, dabei aber immer Fragmente aus dem ganz normalen Wahnsinn des Lebens erzählt, hält einen köstlichen Vortrag über die unterschiedlichsten Arten, "yes" zu sagen. Jeder "Jasager" ist ein kleines Drama für sich, von kühler Sachlichkeit bis zu tragischer Kraft, von augenzwinkernder Schalkhaftigkeit bis zu aufgedrehter Partylaune. Grandios, wie die Künstlerin Bewegung, Mimik und Sprache immer wieder zwingend zusammen bringt.

Was folgt, ist eine lange, aber nicht langweilige, sich bis zu irrwitzigem Tempo steigernde japanische Suada, bei der es nicht weiter stört, dass der Großteil des Publikums nur das einige Male vorkommende Wort "Rosas" versteht, wohl eine Hommage an die künstlerische Heimat. Dabei bekommt der Sessel eine zutiefst komödiantische Rolle. Die vom Band erklingende Händel-Sarabande, übrigens der Melodie von "Lascia ch'io pianga mia cruda sorte" aus "Rinaldo", sorgt aber für tiefere Bedeutung - "Lass mich beweinen mein grausames Schicksal". Fumiyo Ikeda kann all diese unterschiedlichen Situationen auch mit ihrem Gesicht und mit ihren Blicken faszinierend ausdrücken, eine Gabe, die sie mit nur wenigen Tänzerinnen teilt.

Zwischendurch sorgen, "An unanswered question" von Charles Ives und dezent popige Nummern für dramaturgisch durchdachte Abwechslung, wenn aus scheinbar blindlings aneinander gereihten Floskeln Geschichten des Augenblicks entstehen. Schade, dass sämtliche Programmunterlagen zwar einen für "musical advice" verantwortlichen Mann namens George van Dam nennen, sich aber über die eigentlichen Komponisten konsequent ausschweigen. Nicht alles ist so einfach zu erkennen wie der Händel-Schlager. Gegen Ende kehrt die Musik des Anfangs zurück, ehe eine weitere Parade der Ausdrucksvielfalt des Menschen folgt. Fumiyo Ikeda verabschiedet sich ausführlich, indem sie geschätzte dreißig Mal "goodbye" sagt, tanzt und grimassiert. Großer Jubel für eine perfekte, hintersinnige und im besten Sinne unterhaltsame Performance.

© Gottfried Franz Kasparek, DrehPunktKultur

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