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Interview • 03.04.2008 • Christian Lehner, Der Standard

Der leidende Barde mit dem derben Grinsen

Der in New York lebende australische Songwriter Scott Matthew wird in einem Atemzug mit Rufus Wainwright und Antony Hegarty genannt.

Standard: Wann haben Sie mit Musik begonnen?

Matthew: Sehr früh. Ich bin mit ganz klassischer Singersongwriter-Musik aufgewachsen, Bob Dylan und so weiter. In dieser Prägung sehe ich den Grund für die Einfachheit meiner Musik. Da ist nichts Avantgardistisches. Ich gehe weder konzeptuell vor noch baue ich auf den Fundamenten einer klassischen Ausbildung auf, die nach Überwindungen verlangen würde. Ich versuche nur, mit möglichst wenig Mitteln möglichst emotionale und intensive Momente zu kreieren. Das Orchestrale, das Überproduzierte liegt mir nicht.

Standard: Versuchen Sie auszudrücken, was ist oder was sein sollte? Geht es um Erlebtes oder Zustände, die man herbeisehnt?

Matthew: Alles, was ich schreibe, ist autobiografisch. Es ist der Versuch, ehrlich zu mir selbst zu sein. Dennoch ist es nicht so, dass ich das Wesen bin, das diese Musik verkörpert. Man denkt von mir oft, dass ich ein furchtbar depressiver oder melancholischer Mensch bin, weil meine Songs eine traurige Gestalt haben. Das stimmt natürlich nicht. Es zieht mich jedoch immer wieder zu diesem Ausdruck, zum Schattigen, hin. Bewusst mache ich das aber nicht. Es kommt, wie es kommt.

Standard: Vielleicht rührt dieses Image von Ihrer Rolle im Film "Shortbus" von John Cammeron Mitchell. Sie haben in dieser queeren Tragikomödie über Sex und Liebe im Post-9/11-New-York die meisten Songs beigesteuert und den leidenden Barden gegeben, der nur ein einziges Mal am Ende des Films lächelt.

Matthew: Oh Gott, jetzt haben auch Sie mich erwischt! Freunde ziehen mich immer wieder auf, weil ich am Schluss angeblich so derb grinse. Aber ich bin keine Trauerweide, die sich nach dem Winter sehnt. Insofern passt diese letzte Einstellung schon.

Standard: Ihre Musik wird in einem Atemzug mit der von Rufus Wain-wright oder Antony & The Johnsons genannt. Was die Ausdruckstärke betrifft: das hippe Rolemodel des androgynen Singersongwriters bzw. das des schwulen Troubadours.

Matthew: Solange Homosexualität noch immer geächtet wird und meine Musik einen klitzekleinen Beitrag leisten kann, dass sich das ändert, ist es mir egal, wenn ich so gesehen werde. Ich mache keinen Hehl aus meiner Veranlagung. Sie spielt in meinen Songs aber keine Rolle in dem Sinn, dass ich sie als emanzipatorisches Tool verwenden würde.

Standard: Hat der einsame "Tear In My Beer"-Typus ausgedient?

Matthew: Zu beobachten ist, dass sich überall die Rollenbilder auflösen, wohl auch die Bindungen der Menschen untereinander. Das wird als Verlust empfunden. Darum auch das Bedürfnis nach Ehrlichkeit und starker emotionaler Bindung. Ich glaube, Männer leiden besonders darunter, weil ihre als selbstverständlich wahrgenommene Vormachtstellung ins Wanken gerät. Es kann also sein, dass es tatsächlich das Bedürfnis nach einer anderen Stimme aus männlicher Kehle gibt. Ein Bedürfnis, das vielleicht auch bei den Männern selbst vorhanden ist und einfach immer unterdrückt wurde.

Standard: In "Ballad Dear" auf Ihrem Debütalbum widmen Sie sich Ihrer eigenen Zunft. Darin heißt es: "Don't fight, simply slip out of sight. To sweeter terrain. Balladeer". Ist Musik für Sie ein Mittel zu Realitätsflucht?

Matthew: Nein. Es ist eine romantisierte Form der Realität, aber - wie das Wort schon sagt - noch immer real. Für mich ist das Dramatisieren der Realität untrennbar mit dem Begriff der Kunst verbunden und daher ein Mittel, mit ihr umzugehen. Mit Flucht hat das nichts zu tun.

Standard: Ihre Falsettstimme klingt so filigran, dass man sich fast sorgt, sie könnte zerbrechen.

Matthew: Dabei rauche ich wie ein Schornstein!

Standard: Vorbilder?

Matthew: Vieles aus dem Camp-Lager: Olivier Newton John!

Standard: Der Song "Prescription". Das wollte ich sogar fragen.

Matthew: Wirklich? Was für eine Ehre! Ich liebe Olivia!

Standard: Worum geht's in "Prescription"?

Matthew: Wie in den meisten Songs geht es um Trennungsschmerz. Und zum Titel: Auf dem Album wimmelt es nur so von medizinischen Anspielungen und Metaphern. Nicht nur weil es sich dabei um Operationen am Gefühlsmuskel handelt, sondern weil ganz Amerika unter Einfluss von Medikamenten steht.

© Christian Lehner, Der Standard

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