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Sujet Jahresprogramm 2022

JAHRESPROGRAMM 2022

OPEN MIND Festival und Themenschwerpunkte

Im Zentrum unseres Jahresprogramms steht – wie in den vergangenen Jahren – das OPEN MIND Festival.

In den Festivalausgaben von 2018 bis 2020 standen Fragen im Mittelpunkt: WHAT'S LEFT / WHAT'S RIGHT?, BYE BYE EVERYTHING? und WEM GEHÖRT DIE WELT? – Das letztjährige Festival indes richtete sich mit einem Ausruf an die Zuschauer*innen: MACHT EUCH VERWANDT! – Diesem Impuls folgen wir auch 2022 und legen nach: Wir beschäftigen uns mit Berührung und fordern: BERÜHRT EUCH!

Darüber hinaus bündeln wir seit 2019 verschiedene Veranstaltungen zu Themenschwerpunkten, um einen multiperspektivischen und interdisziplinären Blick auf gesellschaftlich relevante Themen werfen zu können. Bisher fanden statt: FEMPOWA (März und Dezember 2019), creativeALPS (Mai 2019 und Oktober 2020) und FLINT*POWA (April 2021). – Im Themenschwerpunkt FIGHT THE RIGHT (März) beschäftigen wir uns mit Antifaschismus und Aktivismus im zeitgenössischen Theater.

FIGHT THE RIGHT

März 2022

Dass der aktive Kampf gegen Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Faschismus eine dringend notwendige politische wie zivilgesellschaftliche Aufgabe ist und bleibt, haben die vergangenen Jahre deutlich gezeigt. Von den Morden des NSU über die weltweiten Wahlerfolge rechtspopulistischer bis nationalistischer Parteien und Politiker*innen bis hin zu den fatalen Auswirkungen derer politischen Ziele und Methoden während der Corona-Pandemie: Antifaschistischer Aktivismus wird gebraucht, vielleicht mehr denn je. – Genau deswegen ist es jetzt, wo sich die politischen Spektren – z.B. in den Protesten gegen die Corona-Politik – immer mehr bis zur absoluten Unkenntlichkeit vermischen, notwendig, noch einmal genauer hinzusehen: Was ist Faschismus? Was ist Antifaschismus? Welche Formen antifaschistischen Aktivismus' gibt es? Und welchen Beitrag kann das Theater, als Kunstform gesellschaftlicher Öffentlichkeit, dazu leisten?

Im Themenschwerpunkt FIGHT THE RIGHT stellen wir uns diesen Fragen – mit einem Impulsvortrag des Rechtsextremismus-Experten Andreas Speit, einer Diskussion mit Aktivist*innen und Künstler*innen (in Kooperation mit der Koerber-Stiftung) und zwei Theater-Gastspielen: GERMAN HORROR DAEMONIUM von cobratheater.cobra und DIE BERUFUNG von Markus&Markus.

cobratheater.cobra: GERMAN HORROR DAEMONIUM
Trailer © Alexander Merbeth
Markus&Markus: DIE BERUFUNG

OPEN MIND Festival

BERÜHRT EUCH!
November 2022

Nach MACHT EUCH VERWANDT! erneut eine Aufforderung: BERÜHRT EUCH! – und statt eines Ankündigungstexts ein paar erste, noch ungeordnete Gedanken und Fragen zum Festivalthema ...

Noch steht nicht fest, ob wir eher auf eine Gesellschaft zusteuern, in der Menschen angstlos zugewandt sein können und einander freiwillig nah kommen – oder ob es eine Gesellschaft sein wird, in der argwöhnische Verschlossenheit, Kontrollbedürfnis und eine aseptische Berührungslosigkeit vorherrschen. Beides liegt in der Luft, schreibt die Journalistin Elisabeth von Thadden noch 2018 in ihrem Buch Die berührungslose Gesellschaft.

Nun liegt seit beinahe zwei Jahren vor allem eines in der Luft: ein unsichtbares Virus. Und die Frage nach Berührung oder Berührungslosigkeit scheint im Hinblick auf die Bekämpfung der Pandemie bis auf weiteres entschieden zu sein. Berührung ist nicht nur ein knappes Gut in Zeiten, in denen körpernahe Dienstleistungen eingeschränkt oder verboten, in der Menschen zum social und physical distancing aufgerufen sind, sich in Quarantäne und Isolation befinden. Mehr noch: Berührung ist verdächtig, potentiell gefährlich, ansteckend, tödlich. Gleichzeitig wissen wir: Wer nicht berührt wird, neigt zur emotionalen Degenerierung, zu geringerer Stressresilienz, erkrankt leichter an Depressionen oder Autoimmunerkrankungen. Zu wenig Berührung ist ungesund – kaum etwas scheint also mehr vermisst und gebraucht zu werden als das: physische Berührung.

Also: Berührt euch? – Wenn die Sache mit der Berührung politisch und gesellschaftlich nicht doch ein wenig komplexer und brisanter wäre ...

Noli me tangere. Darin liegt alles, was der moderne Bürger [sic!] von der Demokratie verlangt: Berühre mich nicht. Personen, Körper, Ideen sollen frei existieren, zirkulieren und sich ausdrücken können, ohne angerührt zu werden, das heißt, ohne von einer äußeren Autorität gehemmt, aufgezwungen oder untersagt zu werden. Die gesamte Tradition liberalen politischen Denkens basiere auf dieser Denkfigur, meint die italienische Philosophin Donatella Di Cesare in ihrem Band Souveränes Virus? Die Atemnot des Kapitalismus.

So steht beispielsweise in sämtlichen emanzipatorischen oder antirassistischen Diskursen und Befreiungskämpfen der vergangenen Jahrzehnte die Freiheit des Individuums, körperliche Berührung zulassen oder abweisen zu können, im Zentrum der Auseinandersetzung. Gegenüber den vorherrschenden Herrschafts- und Gewaltstrukturen werden das Schutzbedürfnis, die Sicherheit und Souveränität des eigenen Körpers in Stellung gebracht – #metoo und ‚Black Lives Matter' sind hier sicher nur die nächstliegenden aktuellen Beispiele.

Die neoliberale Übersteigerung und Perversion dieses progressiven, aber in sich negativen Freiheitsbegriffs (Di Cesare) des Nicht-Berührt-Werden-Wollens erleben wir indes gerade dort, wo sich diese liberalen Topoi mit der anderen, der reaktionären Seite des politischen Spektrums kreuzen; dasselbe Argument (Schutz des eigenen Körpers – hier vor der vermeintlich gefährlichen Impfung), derselbe Gegner (Herrschaftsstrukturen – hier die des Staates) bei den Quergedachten – mit dem vorläufigen Ergebnis einer andauernden oder gar dauerhaften berührungslosen Gesellschaft: Kontaktbeschränkungen forever?

Wie also Umgehen mit Berührung und Berührungs-Verbot?

Und so interessiert uns Berührung nicht nur als politisch stark umkämpftes Feld, sondern auch als künstlerische Praxis. – Tatsächlich hat Kunst keine Expertise, keine Ästhetik der Berührung ausgebildet, schreibt die Performancekünstlerin und Kulturwissenschaftlerin Sibylle Peters. Sehen und Hören – ja; Berührung nur im emotional-affektiven Sinne, nicht im physischen. Bezogen auf die Pandemie meint Peters: Selten war ein Auftrag an die Kunst so klar wie dieser: Wir müssen Berührung als performative Praxis endlich ernst nehmen und im Rahmen von Kunst thematisierbar und erfahrbar [...] machen – persönlich und gesellschaftlich.

Also ... warum warten? Berührt euch! Vielleicht läge in künstlerischen Strategien, mit Berührung zu arbeiten, ja ein Potential zur Beantwortung und Lösung der politischen Fragen, die sich um Berührung drehen, die die Menschen gerade eher auseinander als näher zueinander bringen?

Und dann noch eine weitere künstlerische Frage: Wie können wir Berührung eigentlich im digitalen Raum behandeln, dort wo wir uns Pandemie-bedingt immer öfter aufhalten? Wo es aber ja eigentlich keine Körper, keine physische Präsenz und folglich auch keine Berührung gibt – oder? Wie können wir dort Berührung simulieren, stattfinden lassen, erfahrbar machen – oder zumindest verhandeln?

Ein Teil des OPEN MIND Festivals wird sich mit der Fragestellung nach digitaler Berührung befassen – ausgehend vom neuen Digitalen Foyer als Ort, der nur noch die Körper braucht, die ihn betreten, angebunden an den DIGITAL SPRING und in Kooperation mit minus.eins. – Ansonsten, wie immer: intensive Auseinandersetzung, künstlerisch wie wissenschaftlich, lustvoll wie intellektuell, mit Theater-Performances, Diskursformaten, Workshops und Musik.

Kuratiert von Theresa Seraphin und Sebastian Linz